#abcEtüden 45*46*47*48*2023: SPONTAN
Sie sitzt am Meer. Starrt auf den Horizont. Es ist ihr letzter Urlaubstag.
„Ich will bleiben“, flüstert sie der Wellhornschnecke zu, die sie in der Hand hält. „Ich will nicht zurück in meinem Alltag. Zu ihm, der mich als nützliches Utensil betrachtet. Zu den kleinkarierten Kolleginnen, die seit Jahren über die immer gleichen Themen sprechen. Zur Chefin, die mich jeden Morgen beim Eintreten mustert, als ob ich eine Außerirdische wäre. Nein, ich will nicht mehr. Wieso habe ich das nur so lange mitgemacht?“
Als die Sonne im Meer versunken ist, steht sie auf. Langsam läuft sie zurück zum Hotel. Sie bezahlt ihre Rechnung. „Mir ist es heute lieber“, antwortet sie der Rezeptionistin, als diese ihr sagt, das habe morgen noch Zeit. Dann geht sie auf ihr Zimmer. Sie packt die nötigsten Dinge in ihren Rucksack. Sie sitzt in ihrem Sessel, bis es dunkel ist. Als gegen Mitternacht Ruhe eingekehrt ist, verlässt sie ihr Zimmer. Sie schleicht sich durch die Flure und verlässt die Hotelanlage durch den Personaleingang.
Am Morgen, als die Zimmermädchen das Zimmer putzen wollen, finden sie ein Handy, ein Tablet, die dazugehörigen Kabel und einen fast vollen Kleiderschrank.
Von ihr fehlt jede Spur.
Was meinst du: Ist das spontan so geschehen?
Foto: © Erwin Grundler
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Maximal 300 Wörter, die die Begriffe „Horizont, kleinkariert, eintreten“ enthalten müssen. Die Idee stammt von hier: https://365tageasatzaday.wordpress.com/2023/11/05/schreibeinladung-fuer-die-textwochen-4546474823-wortspende-von-myriade/
Nein, ich glaube nicht, dass das spontan so geschehen ist, aber ich denke, dass viele sich das wünschen, und zwar oft, dass es ginge, einfach so aus dem belastenden Leben auszusteigen, zu verschwinden, alles hinter sich zu lassen. Erinnert mich an den berühmten zigarettenholenden Mann … ;-)
Schön, dass du wieder mit dabei bist!
Vormittagskaffeegrüße mit Regen 🌧️☁️🍂☕🍪
Liebe Christiane,
danke dir.
Ja, das glaube ich auch, dass der Wunsch bei vielen Menschen immer wieder da ist. Was ich mich nur frage: Wie geht es weiter? Denn das wissen wir ja auch: Wir nehmen uns doch immer selbst mit.
Das Bild vom „zigarettenholenden Mann“ passt hervorragend, das kam mir selbst gar nicht in den Sinn.
Ich schicke viele Grüße nach Hamburg – ob es bei euch auch so nass und grau und kalt ist wie bei uns?
Herzlich
Judith
Ich denke, dass ist ein langer Prozess, bis man sich entscheidet, alles, aber auch wirklich alles, hinter sich zu lassen. Ohne irgendeine Spur.
Tja, wer träumt nicht von der Insel der Seligen?
Lieber Werner,
danke dir für deinen Kommentar.
Ja, das sehe ich auch so – zumeist reifen die Dinge über einen längeren Zeitraum, auch bei wesentlich kleineren Dingen.
Und ja, die Insel der Seligen: Ich stelle es mir sehr spannend vor, da mal eine Umfrage zu machen, um herauszubekommen, was sich einzelne Menschen darunter vorstellen.
Sei herzlich gegrüßt und hab ein feines WE
Judith