#ADVENTÜDE: ERINNERUNGEN SIND WIE STERNE

Dieser Text erschien zuerst im Rahmen der Adventüden 2022, einem Projekt von »Irgendwas ist immer«.

 

Agatha schlägt die Augen auf. Ihr Kopf dröhnt, das rechte Bein fühlt sich betonschwer an, im linken Handrücken steckt eine Nadel. Agatha dreht den Kopf. Stöhnt vor Schmerz. Legt ihn zurück. Sie lässt die Augen wandern. Über ihr ein Haltegriff. Neben dem Bett ein Infusionsständer mit einer durchsichtigen Flasche. Tropf, tropf, tropf. Die Wände sind weiß. Ein kleiner Tisch und zwei Stühle stehen an der Wand, darüber hängt ein Kunstdruck. Van Goghs Sonnenblumen. Das Licht brennt. Draußen dunkelt es. Agathe hört ihren Atem, vom Flur schnelle Schritte. Und klingeln. Immer wieder.

„Wie bin ich hier gelandet?“, fragt sie sich.

„Du bist von der Leiter gefallen, Gänseblümchen. Beim Aufhängen der Sternenlichterkette“.

Agatha erschrickt. <Gänseblümchen> hat sie nur ihr Papa genannt. Niemand sonst durfte das. Aber Papa ist schon lange tot. Agatha versucht sich hochzuziehen.

„Bleibt liegen, Gänseblümchen, hab keine Angst. Alles ist gut. Du bist bald gesund“.

Agatha lauscht. Schließt die Augen. Bilder tauchen auf. Ein Kaleidoskop bunter Erinnerungsfetzen. Sie sieht sich und ihrem Vater beim Aufhängen der Sternenlichterkette. Seit sie in der 1. Klasse war, hat er diese mit ihr am 23. Dezember aufgehängt. Nur mit ihr. Nie mit jemandem anderen. Es war seine Vater-Tochter-Zeit. Nicht einmal in 68 Jahren hat er das ausfallen lassen. So wenig. So wertvoll. Eine Liebeserklärung an sie.

Agatha lässt die Erinnerungen kommen. Sie spürt seine Hand auf ihrem Rücken. Hört sein „ich halte die Leiter, einen Sturz wollen wir nicht“. Sie erinnert sich an jeden einzelnen Vorweihnachtsabend. Sieht sie sich an. Lässt sie vorbeiziehen.

Agatha spürt das Lächeln, das sich auf ihrem Gesicht breitmacht. Ihr wird ganz leicht. „Papa“, flüstert sie.

„Ich bin bei dir, Gänseblümchen. Immer“.

Agatha lauscht. Macht das Licht aus. Ihr Blick wandert zum Fenster. Sternenglanz fällt ins Zimmer.

„Danke, Papa, deine Lichterkette ist besonders in diesem Jahr“.

 

 

Welche Wörter hättest Du gewählt und wie würde Dein Text lauten?

Foto: © Erwin Grundler

 

 

Schreibe einen Text (max. 300 Wörter) und verwende mindestens drei der  folgenden Wörter. Adventskalender, Dezemberdilemma, Eintopf, Gebäckdose, Hefe, Lametta, Laubsäge, Liebeserklärung, Kreuzkümmel, Kulturschock, Sternenglanz, Sturz, Taschentuch, Tunichtgut, Weihnachtsputz.

 

4 Kommentare
  1. Christiane
    Christiane sagte:

    Liebe Judith, vielen Dank für diese zauberhafte Adventüde, die ich sehr gern am Tag vor Heiligabend im Rahmen der diesjärigen Adventüden veröffentlicht habe. Ich bedaure es sehr, dass du durch deine neue Seite nicht mehr so leicht erreichbar bist wie früher. Pings funktionieren jedenfalls nur, wenn man einen konkreten Beitrag verlinkt, keine Kategorie (wie du oben), wobei ich glaube, dass du jetzt gar nicht mehr pingst – wenn ich dir behilflich sein kann, sag Bescheid.
    Bitte komm auch gern rüber zu mir und beantworte dort die Kommentare – schließlich ist es dein Lob für DEINE Adventüde ;-)
    Nachmittagskaffeegrüße und schon jetzt schöne Feiertage! ☁️🪔🌲☕🎶

    Antworten
    • Judith Manok-Grundler
      Judith Manok-Grundler sagte:

      Liebe Christiane,
      danke dir. So schön, dass du diese Adventüde zauberhaft findest.
      Das mit dem Verlinken übe ich weiter, irgendwann wird es hoffentlich klappen.
      Und ja, ich melde mich gern, wenn ich Hilfe brauche.
      Liebe Grüße
      Judith

      Antworten
  2. Tina
    Tina sagte:

    Der Weihnachtsputz muss ausfallen, Martha ist krank. Gut dass sie letztin die große Packung Taschentücher bei der Drogerie mitgenommen hatte, jetzt braucht sie sehr viele davon für ihre Schniefnase. Immer dieses Dezemberdilemma! Gerade dann, wo so viel vorbereitet werden will und alles schön glänzen soll, liegt Martha im Bett mit Schnupfen, Kopfweh und einem gebrochenen Bein. Eine liebe Freundin bringt ihr Eintopf, damit sie schnell zu Kräften kommt. Dieses Jahr hat sie von ihrer Tochter einen besonders schönen Adventskalender bekommen. Für jeden Tag hängt eine Geschichte an der Perlenschnur und überall sind schöne Weihnachtsbildchen aufgemalt, der Geschichtentext ist wunderschön geschmückt. So macht das Lesen viel Spaß und Martha ist etwas abgelenkt von ihrem Leid.
    Auch die gut gefüllte Gebäckdose, die neben dem Bett steht, hilft Martha den Geduldsfaden nicht abreißen zu lassen. Welcher Tunichtgut hatte denn auch diese Bananenschale auf den Weg geworfen, die zum Sturz direkt vor der Haustür führte? Jetzt sind alle Weihnachtspläne dahin und es gibt weder Lametta noch Sternenglanz, oder?
    Die Vorweihnachtstage schleichen sich so dahin, Martha übt sich weiter in Geduld und ist gerade ganz froh nicht hinaus zu müssen, denn es ist naßkalt-nebelnieselig und insgesamt Griesgramwetter. Da ist es unter der wärmflaschengeheizten Decke und dem rosazartgepunkteten Kuschelkissen doch sehr viel behaglicher. Wenn nur die Einschränkungen nicht so unbequem wären.
    Derweil ist ihr Mann Karl doch recht oft unterwegs, hat dauernd etwas zu erledigen und trifft sich mit Kollegen und Freunden. Sie gönnt ihm den Spaß, auch wenn es im diesem Jahr noch mehr Zeit einnimmt als die Jahre zuvor. Hat er jetzt noch mehr Kontakte oder ist er mit den Erledigungen langsamer geworden? Na ja, vielleicht kommt es ihr auch nur so vor, weil sie total ausgebremst ist durch den Sturz
    Am heiligen Abend überreicht Karl ihr ein Paket von dem sie sehr überrascht ist, denn Karl schenkt ihr sehr selten etwas. Aber nun kommt er ganz feierlich daher und strahlt. Was ist passiert?
    Martha packt vorsichtig aus und bekommt einen Schreck vor lauter Rührung. Sie hat eine hölzerne Eule in der Hand, die Karl mir einer Laubsäge gefertigt hat – deswegen die vielen Stunden ‚unterwegs‘. Martha liebt Eulen und sie weiß, dass diese besondere Handarbeit eine echte Liebeserklärung ihres Mannes ist. Sie freut sich riesig und als später noch der Rest der Familie und Freunde mit Töpfen und Schüsseln kommen, der Esstisch wunderbar festlich gedeckt wird und alle zusammen singen und schmausen, ist nichts mehr zu spüren von ihrem Dezemberdilemma, jetzt ist Weihnachtsschlemmern dran!

    Antworten
    • Judith Manok-Grundler
      Judith Manok-Grundler sagte:

      Oh, wow, liebe Tina. Schön, dass du auch eine Adventüde geschrieben hast.
      Sie gefällt mir gut – und passt in die Zeit.
      Liebe Grüße zu dir
      judith

      Antworten

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