Aus der Praxis: Entscheidungen treffen

Ich habe mir vorgenommen, im neuen Jahr hier im Blog immer wieder einmal Themen aus meiner Arbeit aufzunehmen. Selbstverständlich werde ich mich dabei an meine Schweigepflicht halten. Ich will Themen/Aspekte aufnehmen, die mit wichtig erscheinen, weil sie alle/viele Menschen betreffen und/oder wichtig sind für das Gestalten des Lebens.
Hier kommt der 1. Beitrag. Nicht immer werden die Beiträge so ausführlich sein wie dieser. Dass dieser so lang ist, liegt am Thema und der Bedeutung für das Leben – auf den unterschiedlichsten Ebenen.



Die Zeit zwischen den Jahren ist die Zeit für Rückschau halten, Bilanz ziehen und Ausblicken auf das neue Jahr.
Wenn ich Rückschau auf mein Arbeitsjahr halte, dann kommt mir vor allem ein Wort/ein Thema in den Sinn. Dieses hat sich – ausgesprochen oder unausgesprochen – durch das gesamte Arbeitsjahr gezogen. Es handelt sich dabei um das Thema „Entscheidungen“.

Alfred Adler* sagt: <Der Mensch ist ein Entscheidungen treffendes Wesen!> Das ist, wenn ich es mir genau anschaue, ein hilfreicher Satz und ein zutiefst herausfordernder dazu. Adler sagt nämlich mit diesen Satz auch, dass ich mich bewusst – viel öfter aber unbewusst – entscheide. Das Leben fordert von uns regelmäßig Entscheidungen. Die, die ich bewusst treffe/treffen kann, sind zumeist nicht in der Überzahl. Denn weitaus häufiger sind die unbewussten Entscheidungen, die ich täglich vielfach treffe.

Ganz egal aber, ob ich eine Entscheidung bewusst oder unbewusst getroffen habe, zwei Dinge bleiben stets gleich:

  1. Ich trage sowohl die Verantwortung für meine bewusst getroffenen Entscheidungen als auch die für die unbewusst getroffenen Entscheidungen.

  2. Jede getroffene Entscheidung hat einen Preis – und dabei spielt es keine Rolle, ob sie bewusst oder unbewusst getroffen wurden.

Gerade letzteres kann mit ein Grund sein, weshalb viele Menschen sich schwer tun mit dem Treffen von Entscheidungen. Denn meist zeigt sich der Preis, den wir für eine getroffene oder nicht getroffene Entscheidung zahlen, erst im Lauf der Zeit. Nur: Mich nicht zu entscheiden, ist auch eine Entscheidung.

Dadurch, dass wir jeden Tag zigfach mit Entscheidungen konfrontiert sind, ist das ein wiederkehrendes Thema in meiner Arbeit gewesen. Dabei spielte es keine Rolle, ob ich Seminare gegeben oder Vorträge gehalten habe oder ob ich Erziehungs-, Paar- oder Lebensberatung angeboten habe. Beispiele gefällig:

  • Pflege ich einen bestimmten Erziehungsstil – habe ich mich dafür entschieden; ob bewusst oder unbewusst.

  • Welche Art des Umgangs ich mit meinem Partner/meiner Partnerin habe, habe ich für mich entschieden; ob bewusst oder unbewusst spielt dabei keine Rolle.

  • Ob ich meine Arbeit – trotz des Chefs – liebe oder ob ich über sie schimpfe, ist meine Entscheidung.

  • Und letztlich ist es auch meine Entscheidung,

    • ob ich mich ärgere,

    • ob ich enttäuscht von jemandem oder etwas bin,

    • ob ich mich verletzt fühle

    • oder ob ich mich unter Druck gesetzt fühle

    • ob ich mich freue

    • ob ich dankbar bin.

Das klingt blöd, doof, unangemessen, unverschämt? Mag sein – vor allem aber kann es hilfreich sein.
Mache ich mir z. B. bewusst: „Ja, offensichtlich habe ich mich dafür entschieden verletzt zu sein“, ohne das zu bewerten, komme ich einen Schritt weiter. Denn dann kann ich mich fragen: Wieso bin ich verletzt? Dann bin ich bei mir, statt beim anderen/bei der anderen. Dann übernehme ich Verantwortung für meine Gefühle, meine Handlungen und meine Entscheidungen. Leichter ist es dagegen – und viel verbreiteter – den/die anderen für meine Gefühle verantwortlich zu machen. Das heißt dann konkret: „Du hast mich verletzt! Du setzt mich unter Druck! Du machst die Arbeit unnötig schwer! Du bist zu wenig da!“ Und so weiter und sofort!
Die Schlussfolgerung heißt dann – ausgesprochen oder nicht: „Wärst du öfters da, wäre alles gut!“ Das aber ist ein Trugschluss, denn die Gründe für meine Gefühle und meine Gedanken liegen in mir und nicht im anderen.
Deshalb – und das macht einen großen Teil meiner Arbeit aus – geht es darum, zu den eigenen Entscheidungen und der daraus folgenden Verantwortung zu stehen. Die gute Nachricht: Das ist lernbar. Die schlechte Nachricht: Das ist Arbeit und braucht einen ehrlichen Blick in den Spiegel.

Ich sagte vorhin, jede Entscheidung hat ihren Preis.
Stehe ich an einer Wegkreuzung und weiß nicht, welchen Weg ich gehen soll, ist eine Entscheidung erforderlich. Entscheide ich mich, nach rechts abzubiegen und ich komme zu einem steilen Anstieg, kann ich über meine Entscheidung jammern und klagen. Und mir ausmalen, dass der andere Weg bestimmt der Bessere gewesen wäre. Allerdings nützt Ersteres nichts und Letzteres kann ich nicht wissen. Da hilft es nur, mir zwei Dinge bewusst zu machen:

  1. Die Entscheidung liegt in der Vergangenheit und was vergangen ist, ist vergangen.

  2. Ich darf jammern und klagen, aber am Weg ändert sich nichts.

Beides bringt mich also nicht weiter. Das Einzige, was wirklich weiterbringt, ist Folgendes: „Ich habe mich für diesen Weg entschieden. Dafür übernehme ich die Verantwortung. Deshalb gehe ich den Weg weiter, egal was kommt oder ich drehe um und treffe an der Kreuzung eine andere Entscheidung“. Damit stehe ich zu meiner Entscheidung, übernehme dafür die Verantwortung und erkenne den Preis für meine getroffene Entscheidung an.
Natürlich ist mir bewusst, dass sich das viel leichter sagt und liest, als es im Alltag umzusetzen ist. Und doch: Dies zu lernen, immer wieder – notfalls auch schmerzhaft – ist eine Lebensaufgabe, die mir niemand abnehmen kann.
<Der Mensch ist ein Entscheidungen treffendes Wesen>. Ich bin mir sicher: Auch im nächsten Jahr wird das Thema Entscheidungen in vielfacher Weise in meinem Arbeitsalltag vorkommen. (Und im Leben sicherlich auch).

Wie viel leichter wäre das Leben, wenn jede/jeder die Verantwortung für ihre/seine Entscheidungen übernimmt und bereit ist, den Preis dafür zu bezahlen. Das wäre ein Beitrag zum Gemeinwohl, zur Gemeinschaft, zur Demokratie und zum Frieden.

In diesem Sinne wünsche ich gute Entscheidungen…

* Alfred Adler ist der Begründer der Individualpsychologie.

 

 

 

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Wie hältst Du es mit Entscheidungen?

 

Foto: © Erwin Grundler, Überlingen

 

 

6 Kommentare
  1. Regina (klatschmohnrot)
    Regina (klatschmohnrot) sagte:

    Sehr guter Artikel, vielen Dank dafür!
    Wie halte ich es mit Entscheidungen? Ich treffe sie meist bewusst, auch mal unbewusst und ich bin in der Lage, mir einzugestehen, wenn die Entscheidungen nicht richtig waren. Dann nehme ich an der nächsten Kreuzung einen anderen Weg.
    Herzliche Grüße
    Regina

    Antworten
  2. annette
    annette sagte:

    ..ich danke dir liebe judith…..da werde ich mal genauer hinschauen, wie es um meine entscheidungen steht….ich freue mich über weitere posts….
    herzlichst
    annette

    Antworten
    • mutigerleben
      mutigerleben sagte:

      Liebe Annette,
      danke für deinen Kommentar.
      Ja, das Thema Entscheidungen betrifft uns alle immer wieder; vor allem, die alltäglichen unbewussten – damit lohnt sich die Beschäftigung auf jeden Fall.
      Wie geht es dir/euch? Und hattet ihr gute Weihnachtstage?
      Ich wünsche dir von Herzen ein gesegnetes Jahr 2022 und freue mich, wieder von dir zu lesen.
      Herzlich
      Judith

      Antworten
  3. Christine Schoch
    Christine Schoch sagte:

    Hallo liebe Judith,
    Vielen Dank für deinen Text zum Thema Entscheidungen treffen .
    Für mich passt er sehr gut noch zum Thema des OnlineSchreibens vom bunten unplanbaren Leben.
    Oft kommt es anders als wir dachten oder planten.
    Dann sind neue Entscheidungen fällig . Es geht immer wieder rund im Tanz des Lebens.
    Und es hilft mir sehr , wenn ich im entscheidenden Moment auf so einen wunderbar kompakten und hilfreichen Text zurückgreifen kann.
    Herzliche Jahresendgrüße und einen frohen Jahreswechsel 🍀
    Christine

    Antworten
    • mutigerleben
      mutigerleben sagte:

      Liebe Christine,
      danke für deinen Kommentar.
      Freut mich, dass der Text bei dir angekommen ist. Und ja, er passt sehr gut zum Online Schreiben vom Advent.
      Wie gesagt, das Thema hat sich wie ein roter Faden durch das Jahr gezogen, das allein zeigt schon die Bedeutung des Themas. Und – auch in diesem Jahr wird es ein immer wiederkehrendes Thema sein.
      Ich hoffe, du kannst die ersten Tage des Jahres genießen.
      Alles Liebe für dich
      Judith

      Antworten

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