Brief an Frau Piepenkrog

Liebe Frau Piepenkrog,

wir haben uns neulich auf dem Marktplatz kennengelernt, nachdem Sie dem jungen Mann so freundlich und klar Kontra gegeben haben.

Ich stand am Rand des dichten Kreises und habe Sie zunächst nur gehört. Gesehen habe ich Sie erst, als Sie mit hoch erhobenem Haupt durch das „Spalier“ der jungen Männer gegangen sind. Ob denen klar war, wie das aussah? Für mich wirkte es, als ob sie Ihnen Geleit geben wollten. Ich habe Sie angesprochen und Sie zu Ihrer Reaktion beglückwünscht. Das hat Sie gefreut.

Mich hat diese Situation den ganzen Tag verfolgt. Ich habe mir überlegt, wie ich reagiert hätte an Ihrer Stelle. Vermutlich hätte ich mich geärgert, wahrscheinlich sogar meinen Ärger gezeigt. Ziemlich sicher aber hätte ich nichts gesagt. Bloß nicht auffallen, wissen Sie? Diese Erkenntnis hatte mich dann gestern fest im Griff. Warum darf ich nicht meine Meinung sagen? Wie alt muss ich werden, bis ich auffallen darf? Und wozu glaube ich, ich dürfte nichts sagen, sondern müsste mich stillschweigend ärgern?

Liebe Frau Piepenkrog, Sie haben auf mich so souverän gewirkt. So, als ob Sie ganz bei sich seien. So, als ob Sie nichts hinunter schlucken würden, nur damit Frieden ist. Können Sie mir helfen? Ich wäre gern ein bisschen mehr wie Sie? Aber ob ich das je schaffen werde?

Bitte, Frau Piepenkrog, fühlen Sie sich nicht bedrängt. Sie müssen mir nicht antworten. Falls Sie es aber tun, freue ich sehr.

Bis dahin herzliche Grüße

Ihre

Anneliese  Spökensiel

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