#Etüdensommerpausenintermezzo II-2021/2: Abends

Sie sitzt auf der Seebühne in der Landesgartenschau und wartet auf das Konzert, das bald beginnen soll. Noch hat sie Zeit. Sie nippt an ihrem Kaffeebecher. Der Kaffee soll ihre Lebensgeister wecken; der Tag war lang und anstrengend. Nachdenklich lässt sie ihren Blick über den Bodensee schweifen.

„Weder Regen noch Wetterleuchten heute – Gott sei Dank“, sagt sie zu ihrem Nachbarn, der drei Stühle rechts von ihr sitzt. Der guckt verwundert. „Kennen wir uns?“
„Nee“, lacht sie, „aber wo steht denn geschrieben, dass man sich nur mit Menschen unterhalten darf, die man kennt? Das wäre doch die reine Willkür!
„Da hast du recht“, antwortet er. „Wo kämen wir hin, wenn das so wäre?“
„Keine Ahnung, aber ganz bestimmt nicht zum Similaungletscher. Höchstens vielleicht zum Säntis“, gibt sie zurück und zeigt nach links. „Dort steht der. Endlich zeigt er sich wieder. Hat lange genug gedauert. Und, bist du öfters hier?“, will sie noch wissen.
Er schüttelt den Kopf. „Nicht wirklich“, sagt er. „Ich bin gerade erst hergezogen und heute mit der Dachbegrünung am neuen Haus fertig geworden. Das hier ist meine Belohnung“.
„Ah, so“.
Er schaut sie an. Eine ganze Weile. Sie rutscht unter seinem Blick auf dem Stuhl hin und her.
„Was ist, habe ich was im Gesicht?“ Sie schaut an sich herunter. „Oder sonst wo?“, will sie wissen.
„Nein, nein. Alles gut. Ich schau dich nur gern an. Weißt du, das Sommerloch hat nicht viel Neues zu bieten“.
„Du vergleichst mich nicht allen Ernstes mit dem Sommerloch?“ Ihre Stimme kiekst.
Jetzt lacht er. „Nein. Ich nehme dich nur auf den Arm. War mir gerade danach“.

Da knackt es in den Lautsprechern. Die ersten Töne perlen in den Abendhimmel. Sie hält es kaum auf dem Stuhl. Gern würde sie sich bewegen. Tanzen. Wie lange hat sie das schon nicht mehr gemacht. Seit dem Eigentor damals, bei dem sie so unglücklich mit der Torfrau zusammenstieß, dass sie sich das Bein brach. Sie zuckt zusammen. Augenblicklich sind die Schmerzen wieder da.
Er bemerkt es sofort. „Was ist los?“, fragt er im Flüsterton.
„Nichts“, sagt sie. „Nur eine schlechte Erinnerung“.
Er nickt. „Lass sie ziehen, wenn es geht und konzentriere dich auf die Musik“. Er lächelt sie an. Dann wenden sie sich wieder der Bühne zu.

Als das Konzert nach zwei Stunden endet und sie gemeinsam die Bühne verlassen, fragt er: „Was machen wir jetzt mit dem angebrochenen Abend?“
Sie zuckt mit den Schultern. Schaut auf den See. Der Mond spiegelt sich darin. Silberglanz breitet sich auf seiner Oberfläche aus. Über dem Flachuferbereich der Landesgartenschau tanzen Glühwürmchen. Sie klatscht in die Hände. „Schau“, sagt sie, „ich habe schon lange keine Glühwürmchen mehr gesehen“. Eine Weile stehen sie nebeneinander und schauen dem leuchtenden Tanz zu.
„Gehen wir noch etwas trinken?“, will er wissen.
„Gern“, sagt sie.
„Wohin? Du erinnerst dich – ich bin nicht von hier“.
„Lass uns an der Promenade schauen, da finden wir sicherlich etwas“.
Sie setzen sich in Bewegung. Mit jedem Schritt, den sie weiterkommen, wird es leerer und ruhiger um sie herum.
„So ein Nacht Spaziergang am See hat was, das sollte ich viel öfters machen“. Sie braucht keine Antwort. Sein Nicken, dass sie mehr ahnt als sieht, reicht ihr.
„Ich könnte ewig so laufen“. Er kommt näher. Seine Hand greift nach ihren Fingern. Die Finger, die sich zwischen ihre fädeln, sind warm. Wortlos gehen sie weiter, solange, bis sie nur noch den leisen Abendruf des Wassers hören.

„Weißt du, ich bin froh, dass ich den Schritt aus der Großstadt aufs Land geschafft habe“.
„Wie bitte?“ Sie bleibt stehen. „Das hier ist doch wohl nicht Land. Du solltest mal ins Hinterland gehen, dann weißt du, dass wir hier in der Stadt sind“.
„Oha, nur nicht gleich beleidigt sein. Er katzbuckelt vor ihr. „Ich bitte untertänigst um Entschuldigung!“
Sie lacht. Das Lachen kullert über die Promenade, hüpft ein paarmal auf der ruhigen Wasseroberfläche und versinkt. Vom nahen Münsterturm wehen Stundenschläge herüber. „Mitternacht. Zeit, heimzugehen“, sagt sie.
„Schade“, antwortet er. „Ich könnte mit dir die ganze Nacht hier am See bleiben. Die Stille. Die Lichter. Der Mond. Das leise Geplätscher – es ist ein Traum“. Er sieht sie an. „Der Mond spiegelt sich in deinen Augen. Das sieht aus wie ein Versprechen. Treffen wir uns morgen wieder? Gleicher Ort, gleiche Zeit?“
Sie nickt. „Ja“, sagt sie. „Schlaf gut“. Dann dreht sie sich um und geht.
Er bleibt zurück. Sicher. Hundertprozentig sicher, dass sie kommt.

 

 

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Blick zur Seebühne im Uferpark – zu Konzert oder Kabarett gibt es noch Seeblick…

Foto: © Erwin Grundler, Überlingen

 

7 aus 12 | Etüdensommerpausenintermezzo II-2021 | Irgendwas ist immer (wordpress.com)

 

12 Kommentare
  1. Christiane
    Christiane sagte:

    Ach, das ist soooo schön. So still und stimmig können Anfänge sein! Und wenn es keiner wird, dann war es doch etwas Besonderes. Gefällt mir sehr, vielen Dank! :-D
    Ganz herzliche Abendgrüße! :-D

    Antworten
    • mutigerleben
      mutigerleben sagte:

      Liebe Christiane,
      ich danke dir sehr.
      Ja, manchmal sind Anfänge so still und kaum merkbar – einfach nur da.
      Freut mich, dass der Text dir gefällt. Er kam mir gestern Abend spät – einer von denen, die einfach da waren.
      Dir wünsche ich einen wunderbaren Restabend.
      Herzlich
      Judith

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