Im Nebel

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Heute früh war wieder „Schreiben im Café“. Mit mir waren wir neun Frauen, die zum Thema „Nebeltage leuchten“ geschrieben haben. Wir alle hatten Freude am Schreiben – und wieder einmal staunten wir darüber, welch unterschiedliche Texte entstehen, obgleich alle dasselbe Gedicht oder dasselbe Foto als Vorlage hatten. Wir haben Wörtersammlungen, ein „N“-Gedicht geschrieben (es werden nur Wörter verwendet, die mit N beginnen), ein Elfchen und eine Geschichte geschrieben. Eine Aufgabe lautetet: Schreibe eine Geschichte zum Foto – egal, in welcher Art: das kann ein Märchen sein, eine Fantasie, ein Krimi oder etwas ganz anderes (es entstand u.a. auch ein See-Krimi).

 

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Dort – mitten im Nebel, in der Mitte des Bildes – hockt Elaris, die kleine Meernixe. Sie kam im letzten Sommer an den Bodensee, weil sie sich bei Jonas‘ letztem Tauchgang am Meer, mit ihren Haaren in seinen Schnorchel verfing. Das war so schnell gegangen, dass sie sich nicht mehr retten konnte. Gott sein Dank war Jonas auch noch im Bodensee geschwommen, so gelang es ihr wenigstens, wieder im Wasser zu leben.
Inzwischen hat sie sich an die neue Umgebung gewöhnt und sogar den Nebel, der ihr anfangs suspekt war, lieb gewonnen. Immerhin bietet er ihr die Möglichkeit, gefahrlos den Seegrund zu verlassen und sich, unerkannt umzusehen.

Heute ist ein Nebel Tag, wie sie ihn besonders mag. Sie kann auf den Nebelschwaden wie auf einem Trampolin hüpfen. Es macht ihr Spaß, sich rücklings ins Weiche fallen zu lassen. Und sie kann die große Zehe, die Hand oder die Nase in der Nebeldecke verstecken. Sie ist gerade dabei, eine Pirouette zu drehen, als ihr Blick plötzlich drüben an der Bergkette hängen bleibt.
„Wie es wohl dort oben ist?“, fragt sie sich. „Von so hoch droben muss die Welt doch grandios sein“, murmelt sie vor sich hin. Sie setzt sich auf einen kleinen Nebel-Buckel, baumelt mit den Beinen und starrt hinüber. Lange. Ganz ruhig. Unverwandt.

Elaris wird ganz still. In ihrem Bauch kitzelt es. Merkwürdig ist das. Sehr merkwürdig. Es ist ihr, als würde sie alles vergessen, was sie kennt. Sie kann nicht aufhören, hinüberzuschauen, die Farben und das Wabern des Weiß anzusehen.
„He, du, was machst du denn?“, hört sie da eine feine Stimme, die sich anhört wie das Flüstern der Korallen in ihrer Heimat. „Ich schaue, entgegnet Elaris. „Und wohin, wenn ich fragen darf?“
Es kichert. „Zu den Dingern da, die dort drüben sind – den Bergen, so habe ich Jonas damals sagen hören“. Sie seufzt. „Ich war noch nie da drüben und da oben schon gar nicht. Das muss schön sein dort!“

„Ja“, antwortet die Stimme, „ja, schön ist es dort schon. Aber es ist auch anders. Fremd. Ungewohnt. Unsicher. Ganz anders als all das, was du vom Meeresgrund und vom See kennst!“
Elaris hört zu. „Trotzdem“, sagt sie. „Trotzdem will ich gern dort sein, wenigstens zu Besuch“.
„Ich könnte dich hinbringen!“, bekommt sie zur Antwort.
„Echt?“
„Ja, echt!“
„Uih, super“. Elaris klatscht in die Hände. „Sag, wann geht es los?“
„Gleich, meine Liebe, leg dich schon mal hin und bleib ruhig“.

Und dann geht es los. Der Nebel steigt und steigt. Bis fast an die Spitze des höchsten Bergs. „Jetzt kannst du aussteigen, Kleines“, sagt er, „und ich komme später wieder und hole dich ab!“
Elaris purzelt aus der watteweichen Nebeldecke. Sie stellt sich hin. Schaut sich um. Sieht zu, wie sich der Nebel ganz langsam auflöst. Und dann, auf einmal, hat sie freie Sicht. „Oh“, sie schlägt die Hand vor den Mund. „Oh, ist das schön. So weit.“ Elaris lässt ihren Blick über den See schweifen, der wie ein glänzendes, blaugraues Tuch vor ihr liegt. Sie sieht Berggipfel in der Nähe und in der Ferne, Wälder und Wiesen, Häuser und Türme und noch vieles, für das sie keine Worte hat. Als sie sich sattgesehen hat, steigt der Nebel wieder zu ihr auf. Sie lässt sich in ihn hineinplumpsen und zum Seegrund zurückbringen.
Die Bilder, die Elaris gesehen hat, nimmt sie mit. Sie legt sie in ihren Erinnerungsgarten und weiß, wann immer ihr danach ist, kann sie sie anschauen.

Du aber, Menschenkind, du siehst nur die Nebeldecke, der Elaris dieses Geschenk verdankt.

2 Kommentare
  1. mutigerleben
    mutigerleben sagte:

    Liebe Katharina,
    danke schön.
    Wir hatten 25 Minuten Zeit zu schreiben – und, auch wenn ich zu Hause noch die letzten 6 Sätze geschrieben habe – erstaunt es mich doch immer wieder, wie vieles in so kurzer Zeit entsteht.
    Es hat auf jeden Fall allen Freude gemacht.
    Liebe Grüße zu dir
    Judith

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