Montag, den 30.03.2020

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Die Idee des „Corona-Tagebuchs“ stammt von hier corona-blog.at 

 

11.27 Uhr (Das sind mehr als 100 Wörter, ist aber ok)

Geburtstag. Christina ist jetzt 39. Normalerweise wären wir jetzt dort. Erwin hätte Brötchen zum Frühstück geholt. Die Kinder hätten ihrer Mama die Bienenwachstücher, die ich am WE mit ihnen gebastelt hätte, geschenkt. Wir hätten einen Spaziergang in den Weinbergen gemacht. Und ganz sicher hätten wir irgendwann ein Gespräch begonnen, das mit den Worten „Weißt du noch?“ angefangen hätte. Ich erinnere mich an die schnelle Geburt. Die Angst, die wir wegen ihrer schweren Hirnhautentzündung hatten. An Kindergeburtstage, Lustlosigkeit, Schweigeminuten, Perfektionismus. An Strahlen und Lachen und Fröhlichkeit und Tränen. An den Abflug nach Amerika und die Rückkehr ein halbes Jahr später. An die Tischlerinnenprüfung ein halbes Jahr nach dem Abitur. An den Besuch in Lancaster, wo sie das halbe Studium absolvierte. An die Hochzeit, die Geburten der Töchter, unzählige Begegnungen usw. So viel gelebtes Leben.

13.43 Uhr

Ich habe die Zeit vergessen. Erwin auch. Er ist im Keller, ein Spielzeug für die Enkelbuben bauen. Ich habe Rechnungen geschrieben. Telefoniert. Mails beantwortet. Geschrieben. Üblicher Alltag. Zumindest inzwischen üblicher Alltag. Irgendwie ein wenig unwirklich. Andererseits real. „Wie schnell der Mensch sich gewöhnt“, denke ich und merke, der Satz beruhigt mich ebenso wie er mich ängstigt. Ja das ist ein wunderbares Können des Menschen – und es hilft weiter. Gleichzeitig rührt aber auch die Angst, dass wir uns an Dinge gewöhnen, die nicht sinnvoll sind – und zu spät bemerken: Ein rechtzeitiges „Nein, auf gar keinen Fall“, wäre nötig gewesen.

14.05 Uhr

Heute begann das Online-Schreiben „Leben heißt…“. Ein Angebot von mir, um Verbundenheit zu spüren und zu ermöglichen. Um das Schreiben, das im persönlichen Kontakt momentan nicht funktioniert, wachzuhalten. Um für eine andere Beschäftigung zu sorgen.
Die Frage heute lautet: „Worauf vertraust Du?“ Ich bin auf die Ergebnisse der Teilnehmerinnen gespannt.
Ich vertraue darauf, dass
2+2=4 bleibt,
verschiedene Jahreszeiten bleiben,
Gänseblümchen weiß und rosa blühen – mit einer gelben Mitte,
der Flieder bald schon duftet und an meinem Geburtstag die Rosen auch,
Freundschaften auch über Telefon und Mails erhalten bleiben,
der April seinem Namen Ehre
und der Mai alles neu macht.

16.51 Uhr

Gerade habe ich mit Erwin, meinen Kindern, ihren Familien und meiner Nichte Geburtstag gefeiert. Virtuell, versteht sich. Es ist gewöhnungsbedürftig, aber besser als nichts. Fünfzehn Menschen auf dem Bildschirm. Geburtstagslied singen und Kerze auf dem Kuchen anzünden inklusive. Lachen. Zuhören. Erzählen.
Aber: Eine Umarmung, ein Kind auf dem Schoß, ein gemeinsamer Spaziergang, Schmetterlinge zählen, Bienen zuhören, Nähe erleben – das ist anders.
Auch der nächste Geburtstag, wird wohl auf diese Art und Weise stattfinden. Für Erwachsene mag das ja irgendwie zu verschmerzen sein, aber ich frage mich, wie das mit den beiden Enkelkind-Geburtstagen im Mai gehen wird. Das bleibt abzuwarten.

19.45 Uhr

Vorhin habe ich in Barbaras Corona-Tagebuch gelesen. Der Beitrag von 15.20 hat es mir angetan. Zwar kenne ich weder Mutter noch Tochter persönlich, aber ich kann mir die Szene vorstellen. Sich darauf einlassen zu können ist <Not-wendend>.
Mit Kindern zu philosophieren ist Glück und Geschenk. Allerdings – das ist mir bewusst – ist es auch furchtbar anstrengend, wenn die Welt (wie jetzt) Kopf steht, die Zukunft ungewiss ist, finanzielle Sorgen drücken und die Familie gefühlt den ganzen Tag aufeinander hockt.
Deshalb sind heute Abend Mütter und Väter, die mit verschiedensten „Alltagsbällen“ jonglieren, meine Heldinnen und Helden. Danke und viel Kraft.

23.55 Uhr

<Was sagt die Angst? Was sagt die Zuversicht?>*
Die Angst sagt: „Ich will mich verkriechen. Die Decke über den Kopf ziehen. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Das geht nie gut aus, nie. Dass Menschen daraus lernen, ist <Sozialromantik>, Wunschdenken, Ignoranz. Wie Pfeifen im Wald!“
„Ts, ts, ts“. Die Zuversicht schüttelt den Kopf. „Schau mal zum Fenster raus. Da blühen Primeln unterm Schnee. 15 Jahre alte Tulpenzwiebeln haben getrieben und blühen. Der Löwenzahn sprengt die Asphaltdecke des Gehwegsund blüht. Kinder lernen laufen – ganz von allein Und trotz aller menschlichen Dummheit dreht sich die Welt noch immer. Das nennt sich Leben!“

 

* Diese Frage stammt aus der Wohnzimmerkirche; ich schrieb an anderer Stelle darüber.

 

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