Noch immer und noch nicht (Wo 1): Was es noch gibt

Das ist der letzte Beitrag zum Online Schreiben in Woche 1 „Noch immer und noch nicht“. Es ging darum, zu Geschriebenem eine Collage zu gestalten und dann eine Geschichte zu schreiben.

Sinja ist auf der Suche. Dabei weiß sie gar nicht, was sie sucht. Aber der Gedanke ans Suchen lässt sie nicht mehr los. Nachts schläft sie unruhig, sie sieht sich immer wieder durch Wiesen und Felder streifen oder durch Häuserschluchten, in die kein Sonnenstrahl vordringt, rennen. Manchmal kann sie dann nicht mehr einschlafen. Tagsüber ist sie so müde, dass die Arbeit sich anfühlt wie Mauersteine. Sie muss aufpassen, dass sie keine Fehler macht.

„So kann das nicht weitergehen“, sagt Sinja eines Morgens zu sich selbst. „Heute ist Samstag und jetzt beginne ich zu suchen“.
Sinja geht los. Ohne Plan. Die Füße, die Augen, das Herz oder die Nase werden ihr den richtigen Weg zeigen – davon ist Sinja überzeugt. Finja kommt an grüntauigen Wiesen vorbei, an Blüten und an Bäumen, die schon viele Sommer gesehen haben. Sie riecht nasses Moos, Brötchen aus einer Bäckerei, Knoblauch vom nahen Markt, Abgasgeruch von der Hauptstraße und den Geruch von Sommer. „Margariten“, fällt ihr ein. „Die sind mein Sommerduft“.
Sie sieht blau und gelb und rot und grün – hübsch sortiert und durcheinander – je nachdem, wo sie hinschaut. Sie lässt die Stadt und den Park hinter sich. Längst ist das geschäftige Samstagstreiben verstummt und sie ist alleine unterwegs.

Sinja läuft und läuft. Langsam. Gemächlich. Sicher. Ein Schritt nach dem anderen. Sie spürt, wie sie langsamer wird. Spürt, wie die Füße auf dem Boden aufsetzen. Sie richtet ihre Aufmerksamkeit auf ihre Füße. Vorwärts. Vorwärts. Einen Schritt. Noch einen. Weiter. Ihr Weg führt sie durch einen Wald. Dunkeltannengrüne Stille wickelt sie ein.
Sie schreitet durch den Wald. Es raschelt im Unterholz, ab und an knackt ein Zweig. Sie hört Vogelstimmen und ihren Atem.

Plötzlich endet der Wald. Vor ihr liegt eine Lichtung mit einem kleinen Teich. Sinja geht näher. Zwei Seerosenblüten entdeckt sie. Fünf Wasserläufer und ein wenig Froschlaich. Der Rest des Wassers ist klar.
Sinja hockt sich hin. Beugt sich übers Wasser. Sie sieht ihr Gesicht. Strahlende Augen. Die violetten Ränder unter den Augen sind verschwunden, die Stirn ist glatt. Ihr Mund verzieht sich zu einem breiten Lächeln.

„So habe ich mich schon lange nicht mehr gesehen“, sagt Sinja zu einem der Wasserläufer. Der hält inne, als ob er sie verstünde. Einen Moment bleibt er noch sitzen, dann ist er weg.
Und Sinja weiß, was sie all die Zeit gesucht hat – sich selbst!

 

|WERBUNG WEGEN NAMENSNENNUNG, UNBEZAHLT|

 

Wie lautet Dein Text „Was es noch gibt!“

Foto: © Judith Manok-Grundler, Überlingen

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