Sonntagsgedanken: Es ist genug! (1)

Am Donnerstag wurde das lang erwartete Gutachten zum sexuellen Missbrauch im Erzbistum München-Freising veröffentlicht. Ich habe große Teile der Pressekonferenz dazu gehört und inzwischen auch in das Gutachten hineingelesen.
Das, was da wieder ans Licht kam, lässt mich nicht los. Außer den folgenden Gedanken sind ein Bild und ein Text entstanden.

Was muss noch passieren…

Was muss noch passieren? Wie viele Gutachten brauchen wir noch, die doch immer wieder nur dasselbe zeigen: eine Haltung des Wegschauens. Des Abwiegelns. Des Vertuschens. Des Schützens. Des <nichts-wissen-wollens>.
Was muss noch passieren? Müssen wir abwarten, bis endlich alle Diözesen ein Gutachten vorlegen, das – vielleicht mit unterschiedlichen Zahlen – im Kern wieder nur das längst Bekannte beschreibt? Wie oft muss es noch bestätigt werden, bis sich grundlegend etwas ändert?
Was muss noch passieren? Was brauchen Kleriker noch, bis sie endlich verstehen (wollen)?
Was muss noch passieren, bis verkündete Scham, Reue und Entschuldigung keine bloßen Worte mehr bleiben – und bei manchen der Kleriker nur bloße Worthülsen?
Was muss noch passieren, bis auch die Kleriker, die nichts mit sexuellem Missbrauch zu tun haben, endlich Worte finden, Stellung beziehen und in ihren Gemeinden das Thema aufgreifen?
Was muss noch passieren, bevor die Kirche begreift, dass die Machtstruktur und die katholische Männerkirche überhaupt erst den Rahmen bieten, in dem diese sexuellen Übergriffe und Verbrechen möglich waren und sind?
Was muss noch passieren, bis die Einsicht greift, Verbrechen gedeckt zu haben und sich mit Sätzen wie „darüber hatte ich keine Kenntnis“ zu rechtfertigen?
Was muss noch passieren, bevor mit der Doppelmoral der Amtskirche aufgeräumt wird, die z. B. „geschieden-wiederverheiratete“ zu Sündern erklärt und sie zu den Sakramenten, vielleicht nach einem Prozess der Gewissensbildung, zulässt – gleichzeitig aber in großem Stil Verbrechen ermöglicht, zulässt und vertuscht?

Was mich am Allermeisten geschockt hat bei der Vorstellung des Gutachtens ist die Tatsache, dass Amtsträger sagen <sie hätten nicht gewusst, welche Schäden durch die sexuellen Übergriffe bei den Menschen entstehen>. Sie hätten es wissen können, denn die Informationen dazu gibt es längst. Wer wissen wollte, konnte es wissen!

Was sind die Konsequenzen?

Es wird Zeit für eine schonungslose und lückenlose Aufklärung – vor allem auch durch die weltliche Justiz. Zeit zu schinden, bis die Taten verjährt oder die Täter tot sind, darf keine Option mehr sein!
Es wird Zeit für eine Kirche, in der Frauen nicht mehr diskriminiert und ausgegrenzt werden, weil sie Frauen sind – das verbieten allein schon die Menschenrechte und das Grundgesetz – und beides hat auch für die katholische Kirche zu gelten.
Es wird Zeit für eine Kirche in der die Täter, Mittäter, Vertuscher und Wegschauer endlich Konsequenzen ziehen und Verantwortung übernehmen für ihr Tun – und ebenso für ihr Nichtstun!
Es wird Zeit, dass die Kirche sich endlich auf die Seite der Opfer stellt, statt auf die der Täter – nur weil sie Mitbrüder sind!
Es wird Zeit, nicht nur für die Opfer zu beten und sich aus der Ferne zu entschuldigen!
Es wird Zeit, die Machtstrukturen endlich aufzulösen – weg von einem „von oben nach unten“ und hin zu einem horizontalen Machtteilen!
Es wird Zeit, die Basis zu beteiligen, Laiinnen und Laien ernst zu nehmen und nicht nur von Charismen zu sprechen, sondern sie in die Arbeit einzufließen zu lassen.
Es wird Zeit, den Zölibat aufzuheben – er ist keine Voraussetzung für das Weiheamt.
Und es wird Zeit, allerhöchste Zeit, die Lehre der Unfehlbarkeit auf den Prüfstand zu stellen. Denn Menschen sind fehlbar – das liegt in ihrer Natur.

|WERBUNG WEGEN NAMENSNENNUNG, UNBEZAHLT|

8 Kommentare
  1. Monika-Maria Ehliah
    Monika-Maria Ehliah sagte:

    Liebe Judith,
    danke für deine kritischen Worte.
    Es wird Zeit – weil es schon längst Zeit gewesen wäre.

    Jedes Wort von dir unterstreiche ich.
    Ich stimme dir in allem voll und ganz zu.

    Auch in der Kirche müssen die Systeme aufgebrochen werden. Jetzt!
    Sie machen mit ihrer Sündenideologie viele Menschen klein,
    mischen sich ein bis in die Schlafzimmer der Menschen,
    doch für sich selbst sind sie blind – taub und gehörlos.
    Danke für deine Worte – sie müssen ans Licht un wirksam sein im Jetzt.
    Segen dir und deinen Lieben!

    Antworten
    • mutigerleben
      mutigerleben sagte:

      Liebe Monika-Maria,
      sehr gern – ich setze mich schon lange mit dem Thema auseinander.
      Und ja, du hast recht: Es ist schon seit langem höchste Zeit und bislang passiert nichts – jedenfalls nichts, was Änderungen bringt.
      Ich weiß, dass auch in unserer Diözese versucht wird, Licht ins Dunkel zu bringen und Verfehlungen aufzudecken – aber das dauert und dauert. Und es bleibt so vieles beim Alten. Ich will annehmen, dass der ein oder andere inzwischen etwas sensibilisierter für das Thema ist, aber, da die Struktur sich nicht verändert, ist es noch immer möglich. Es muss jetzt an die Struktur gehen, nicht nur an die Aufdeckung.
      Herzliche Grüße
      Judith

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  2. Christine Schoch
    Christine Schoch sagte:

    Liebe Judith,
    Jedes einzelne deiner Worte spricht mir aus der Seele.
    Mich packt eine grenzenlose Wut, wenn ich die Bilder der in edle Stoffe gehüllten „Würdenträger“ sehe, die sich hintereinander verstecken – immer noch ! Und sich mit Heiligkeit und anderen Titeln schmücken.
    Enthoben von jedem Realitätsbezug – kraft Amtes.
    Ich könnte kotzen – entschuldige bitte, die Ausdrucksweise.
    Und ich fürchte, das ganze üble Schauspiel wird wohl noch lange so weitergehen.
    Nicht einmal tausendfache aktive Kirchenaustritte können eine Veränderung des Verhaltens oder eine erkennbar ehrliche Reaktion bewirken.
    Man versteckt sich hinter der weltweit agierenden Kirche und lässt die aufmüpfigen Menschen hier im Lande am ausgestreckten Arm verhungern.
    Man hat ja noch genug Schäfchen, die den Wolf im Schafspelz noch nicht erkannt haben.
    Was kann man/frau noch tun ? Auch austreten ?
    Was ja gar nichts an der Misere ändert…

    Ich bin auf Teil 2 deiner Betrachtungen gespannt.

    DENNOCH und erst recht einen schönen Sonntag,
    mit dankbarem Gruß
    Christine 🤗

    Antworten
    • mutigerleben
      mutigerleben sagte:

      Liebe Christine,
      danke für deine liebe Rückmeldung.

      Ja, so geht es mir auch. Und wenn ich manche Rechtfertigungen höre, dann kommt mir das Bild der „drei Affen“ in den Sinn: Nichts sagen, nichts sehen, nichts hören! Das wurde perfektioniert bis zum Geht-nicht-mehr.
      Oh, du brauchst dich für diese Ausdrucksweise nicht entschuldigen – ich bin mir sicher, dass du und ich nicht die einzigen sind, die das so empfinden.

      Auch deine Befürchtungen teile ich: Es werden Aufklärung der Taten einerseits und „Synodaler Weg“ andererseits nichts ändern. Solange um jeden Preis an der Macht und dem „ausgewählt sein“ festgehalten werden muss, wird nichts anders – gar nichts!

      Dass die vielen Kirchenaustritte hierzulande (in München ist übrigens die Nachfrage gerade wohl sehr groß) eine Änderung bewirken, glaube ich auch nicht – die Veränderung geschieht ja nur aus einem Blick in den Spiegel und aus Einsicht.
      Allerdings nehme ich schon wahr, dass es doch vereinzelt Amtsträger gibt, denen die Austritte zu schaffen machen. Es darf aber nicht beim „sich sorgen“ bleiben – denn das allein reicht nicht.

      Und ja, das weißt du von mir ja: Das Thema austreten ist natürlich eines, das auf der Hand liegt. Sicher ändert das nichts an der Lage, da bin ich mit dir einig – aber das ist gar nicht mein Ansatz. Für mich hat es etwas mit dem Blick in den Spiegel zu tun.

      Dir auch – gerade erst recht und dennoch – einen sonnigen Gruß
      Judith

      Antworten
  3. Silvia Kühnle
    Silvia Kühnle sagte:

    Liebe Judith,

    danke, für deine klare Sprache.

    Ich hoffe und wünsche, dass sich endlich was tut in der Kirche. Dass alles aufgedeckt wird, was einfach nicht in Ordnung ist.

    So auch die Behandlung / Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren. Mir gefällt das Taizelied “ Gott ist nur Liebe“ so gut. Und warum sollte er da was dagegen haben?

    Und wir wissen auch, dass kein Mensch unfehlbar ist. Warum sollte der Papst da sein? Das ist schon sehr anmaßend. Und dann der Zölibat und das nicht Weihen von Frauen. Das ist nach meiner Meinung nicht Gottgewollt. Jede / jeder sollte nach seinen Fähigkeiten ihren / seinen Dienst tun zum Wohl der ganzen Menschen.

    Euch Beiden dennoch einen guten Restsonntag.

    Grüße Silvia

    Antworten
    • mutigerleben
      mutigerleben sagte:

      Liebe Silvia,
      bitte schön, sehr gern!
      Du hast recht, das ist überfällig.
      Allerdings muss ich für mich feststellen, dass ich nicht mehr daran glaube, dass sich die Kirche aus sich reformiert. Ich glaube, sie wird einfach immer kleiner werden – sei es, dass ihr die Menschen weglaufen, sei es, weil viele der heutigen Gläubigen wegsterben (wenn ich mir die Altersstruktur in vielen Gemeinden anschaue, dann ist das eher früher als später der Fall).
      Dann gibt es zwei Szenarien: die Kath. Kirche wird zu einer „Nischenkirche“ – eine kleine Gruppierung neben vielen anderen oder es gibt noch ein paar wenige Menschen, die eine Erneuerung in menschlicherem Gewand schaffen – von unten her und ohne den hierarchischen Überbau.
      Die Zeit wird es zeigen.
      Dir einen guten Start in die Woche und liebe Grüße
      Judith

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