Sonntagsgedanken: Ich erinnere mich

Ich erinnere mich an Biskuitrolle, gefüllt mit Marmelade, zwischen Kirchgang und Mittagessen. An kratzige Strumpfhosen und Wollpullover, die juckten. An Seilspringen auf dem „Dächle“ in der Wohnung in Überlingen und an mein erstes eigenes Zimmer im Haus. Ich erinnere mich an Mittagessen, bei denen ich schweigen musste, weil nur das Gespräch der Großen wichtig war und an langweilige Besuche bei Onkeln und Tanten, wo ich brav auf dem Sofa sitzen musste. Ich erinnere mich an den Felskeller bei Tante Anna und an die Regale, auf denen Brote lagerten und an den Geschmack der Lebkuchen bzw. des Gebäcks, das auch im Sommer dort lagerte, wenn ich in den Ferien dort war. Ich erinnere mich an heiße Sommertage, an Sonnenbrand mit Blasen und an heftige Nachtgewitter, bei denen wir aufstehen und angezogen im Wohnzimmer warten mussten, bis das Gewitter abzog. Ich erinnere mich an das Laufen im hohen Gras, das mich am Kinn kitzelte, an den Duft der Margeriten, ans „Blütenblätter zupfen“ für Prozessionsteppiche und an die Süße der rosaroten Kleeblüten. Ich erinnere mich an Türenknallen, Streitereien und Schweigen, das widerhallte von Verletztheit, Ärger, sich nicht einlassen können. Ich erinnere mich an Spaziergänge am Ostersonntag, bei denen ich blau, gelb und rot verpackte kleine Ostereier fand. Ich erinnere mich an den kleinen Blumenstrauß auf dem Tisch, wenn ich Namenstag hatte und an den Strauß „Pfingstnegele“ zum Geburtstag. Ihren Geruch habe ich sofort in der Nase. Ich erinnere mich an Ohrenschmerzen – schreckliche Ohrenschmerzen – und an die Praxis des HNO-Arztes. Ich erinnere mich an eingeforderten Respekt in der Schule, und Kopfrechenübungen und dann Tatzen, die mir wehtaten und mich wütend machten – auch, wenn ich nie welche bekommen habe. Ich erinnere mich an das „Aber und das Trotzdem“ und meinen Widerspruchsgeist, der sich nie ganz unterdrücken ließ. Ich erinnere mich an Tante Annis Stärkungsmittel nach überstandener Krankheit, das ich mit Faszination und Ekel gleichermaßen betrachtet habe (ein rohes Ei, Traubenzucker, Rotwein und…). Ich erinnere mich an das kleine Mädchen, das sich so häufig unverstanden fühlte und einen Weg suchte, damit zu leben. Und ich erinnere mich an Zeiten mit der Katholischen Jugend auf dem Höchsten und im Bregenzerwald, an Winter voller Schnee, an violette Veilchen im Überfluss, an Löwenzahn und Pusteblumen und an Gänseblümchenkränzchen, die ich gern auf dem Kopf trug. Ich erinnere mich…

 

 

 

 

 

 

An was erinnerst Du Dich?

Einen gesegneten Sonntag wünsche ich Dir!

Foto: © Erwin Grundler

 

 

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