Themengeschichte 22: Der sozialen Gerechtigkeit
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Soziale Gerechtigkeit – das ist ein weites, umfassendes Thema, das ich hier weder restlos ausloten kann noch will. Denn es stellt sich die Frage, was damit überhaupt gemeint ist. Würde ich dazu verschiedene Personen befragen, bekäme ich mit Sicherheit auch verschiedene Antworten – wahrscheinlich sogar solche, die sich widersprechen. Und so stellt sich mir die Frage: „Gibt es so etwas wie soziale Gerechtigkeit überhaupt“?
Wenn wir „soziale Gerechtigkeit“ sagen und damit meinen <niemand wird benachteiligt> dann wird das schwierig. Denn ob sich jemand benachteiligt fühlt oder nicht, das ist höchst subjektiv und emotional. Ich glaube also nicht, dass wir von „sozialer Gerechtigkeit“ reden können, ohne einen Minimalkonsens zu finden – vor allem dann nicht, wenn es um Geld oder Materielles geht. Das wäre für mich, wenn wir mit „sozialer Gerechtigkeit“ Zugangsmöglichkeiten und Teilhabe an Bildung und Arbeit für alle Menschen meinen. Und selbst da könnte es noch einige Menschen geben, die sich dadurch auch wieder benachteiligt fühlen.
Es stellt sich die Frage, wie wir also mit dem Thema „Gerechtigkeit“ umgehen.
Vor vielen Jahren habe ich mich, im Rahmen der kfd, mit dem Thema „Herausforderung Gerechtigkeit“ befasst. Ich hatte das große Glück, an einer Schulung zum Thema teilnehmen zu können. Seit daher setze ich mich mit dem Thema anders auseinander.
Gerechtigkeit – das bezieht sich nicht nur auf die große Politik oder Weltpolitik, sondern sie ist im kleinen, alltäglichen Rahmen genauso nötig zu erarbeiten wie im Großen. Das heißt auch, dass ich – um gerecht zu handeln – auch immer wieder einen Anstoß von außen benötige. Dies kann eine Situation sein, die ich als veränderungsbedürftig empfinde oder auch ein Gegenüber, die/der mich ansteckt, mitreißt, nachdenklich macht, herausfordert.
Und dann gibt es da ja noch die Frage: <Was ist Gerechtigkeit überhaupt?> Seit meiner Schulung damals fällt es mir schwer, auf diese Frage eine Antwort zu finden, ohne die Gegenfrage zu stellen: Von welcher Art von Gerechtigkeit sprechen wir denn überhaupt?
Wenn ich auf das Leben mit meinen Kindern zurückschaue und mir ihre Äußerungen zum Begriff „ungerecht“ anschaue, dann sprechen wir von einer Gerechtigkeit, die „eigentlich“ Gleichheit oder Gleichbehandlung meint. Ein nicht in gleich große Stücke geteilter Kuchen – das war ungerecht! Kinder haben einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, sagt man – ich glaube, sie haben aber eben, und das ist völlig normal je kleiner sie sind, einen Sinn für Gleichbehandlung.
Bleiben wir beim Beispiel des Kuchens: Schauen wir biblische Gerechtigkeit an, dann sind die ungleich großen Kuchenstücke völlig in Ordnung, denn hier heißt Gerechtigkeit, dass jede/jeder das bekommt, was sie/er zum Leben braucht. Gerechtigkeit wäre in diesem Sinn also, wenn Menschen, die vieles haben, weniger bekommen als die, die wenig haben. Das aber widerspricht häufig unserem eigenen Empfinden – deshalb regen sich viele Christinnen und Christen über das Gleichnis der Arbeiter im Weinberg (Mt 20,1–16) so sehr auf.
Sehen wir nach der Gerechtigkeit, die zum Beispiel bei Gericht gesprochen wird, so bleiben auch da viele Fragen offen. Ist es gerecht, dass jemand weniger Strafe bekommt, weil er/sie die Tat im Vollrausch getan hat? Ich finde das nicht, bei Gericht geht es aber häufig ganz genau so aus …
Schließlich gibt es noch die Philosophie und die Gerechtigkeit. Da können wir auf eine lange Geschichte zurückschauen, in der sich viele kluge Menschen mit dem Thema befasst haben. So setzt Kant die Begriffe <Gerechtigkeit und Freiheit> miteinander in Beziehung. Das heißt, für die praktische Umsetzung der Gerechtigkeit ist es vonnöten, dass der Mensch seine Freiheit leben kann und zwar unter der Voraussetzung, dass die eigene Freiheit durch die Freiheit der jeweils anderen Beschränkung findet.
Was also ist jetzt Gerechtigkeit? Wie viel Gerechtigkeit brauchen wir? Wer bestimmt, was gerecht ist? Und was geschieht, wenn die Bürgerinnen und Bürger eines Landes empfinden, dass nicht wenigstens ein Stück weit Gerechtigkeit für jede und jeden da ist?
Ich bin davon überzeugt: Für dieses Thema gibt es weder einfache Antworten, noch Handlungsanweisungen oder Vorschläge, die das Zusammenleben einfacher machen.
Dennoch gibt es ein paar Anregungen, um sich mit dem Thema zu befassen:
- Reflexion: Was ist für mich persönlich in dieser oder jener Situation Gerechtigkeit?
- Von welcher Art von Gerechtigkeit spreche ich? Meine ich vielleicht doch eher Gleichheit?
- Was genau führt dazu, dass ich mich ungerecht behandelt fühle?
- Was heißt das, wenn ich von mir sage „Das war gerecht, ich habe mir Nichts vorzuwerfen?
- Wenn wir die biblische Gerechtigkeit zugrunde legen würden: Wie sähe dann die Lösung aus?
Gerade dieser letzte Punkt hilft mir oft weiter, denn ich kann mich ja durchaus fragen, ob es wirklich gerecht ist, wenn Menschen, die unterschiedlich sind, gleichbehandelt werden. Da kann ich nahtlos an mein „Wort zum Sonntag“ anschließen: Es gibt weder „das Wesen der Frau“ noch „das Wesen des Mannes“, sondern Menschen, die gerade durch ihre Unterschiedlichkeit Persönlichkeiten sind.
Was fällt Dir zum Thema „Soziale Gerechtigkeit“ ein?
Foto: © Grundler, Überlingen
Liebe Judith,
Gerechtigkeit ist – und wird es immer bleiben – eine schwierige, schwammige und manipulierbare Gemengelage aus subjektiven Wünschen, Erwartungen, Erfahrungen einerseits, kirchlichen und staatlichen Indoktrinierungen andererseits. Viele erdenken sich eine „eigene“ Wahrheit und definieren über diese dann ihren Begriff von Gerechtigkeit. Beispiele aus der Geschichte gibt es ja genug: die spanische Eroberung und Hinschlachtung von Millionen Südamerikanern im Mittelalter im Namen ders Königs und der Kirche, die „Heilige“ Inquisition, die Kreuzzüge, Adolf Hitler und das Deutsche Reich, die Zeit der Kolonisation, die wirtschaftlichen und Machtinteressen der Industrienationen, die AfD und der Attentäter von Hanau und die regelmäßiger Massaker in amerikanischen Schulen, um nur einige zu nennen.
Und so hat jeder, ob rechten Glaubens oder verführt seine Begriffe von Gerechtigkeit. Ich habe in meiner beruflichen Praxis, die sehr viel mit Auslandsaufenthalten verbunden war, viele Staaten, viele Denkweisen kennen gelernt, die aus ihrer geschichtlichen und kulturellen Entwicklung und Stellung heraus vollkommen unterschiedlich gedacht haben.
Absolute Gerechtigkeit ist daher nach meiner Erfahrung niemals zu erreichen. Dazu müssten wir uns alle dem einen und gleichen Maßstab unterordnen, aber auch das wird nicht genügen: denn unsere persönliche Leistungsfähigkeit und auch unsere ganz subjektiven Interessen sind so verschieden (einer ist fleißig, einer ist bedächtig, der andere geht gerne Risiken ein, einer will in der Natur arbeiten, ein anderer Romane schreiben, ….,), dass ein Jeder Alles tolerieren wird. Und Toleranz ist sicherlich ein wesentlicher Bestandteil von „gelebter“ Gerechtigkeit.
Nichtsdestotrotz soll uns das natürlich nicht entmutigen. Jeden Tag aufs Neue sollten wir versuchen, uns in Nachhaltigkeit zu üben, denn dies ist sicherlich ein vielversprechender Weg, uns einer weitgehenden und von möglichst Allen akzeptierten Gerechtigkeit anzunähern.
Wichtig ist auch, sich dabei nicht zu Werkzeugen Anderer machen zu lassen.
Das Thema hat mich auch früher schon einmal bewegt. Vielleicht magst Du dazu einmal meinen Beitrag Kulissenschieber lesen? ( https://wkastens.wordpress.com/kulissenschieber-2/ )
Liebe Grüße in den Süden nach Alemania!
Werner
Danke, lieber Werner, für deinen ausführlichen Kommentar. Und ja, das ist ein Thema, auf das es ziemlich sicher nie eine zufriedenstellende Antwort für alle geben wird.
Ich schau später mal noch bei dir vorbei.
Liebe Grüße
Judith