Themengeschichte 25: Leichter und bunter

Und der Engel nahm meine Hand. Er zog mich hinter sich her. Auf einer großen Wiese in der Nähe des Seeufers blieb er stehen. Ich auch.

„Mach die Augen zu und die Hände auf“, sprach er. Ich tat, wie mir geheißen.

Da legte er mir eine Kugel in die Hand. Sie wog so viel, dass ich in die Knie ging. Der Engel lachte. „Steh wieder auf und wirf die Kugel soweit du kannst!“, sagte er zu mir.

Ich schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht!“, antwortete ich. „Sie ist so schwer, dass ich sie kaum halten kann, wie sollte ich sie da werfen können?“

„Steh auf und wirf“, sprach der Engel abermals. Er sah mich an, so wie früher mein Mathematiklehrer, wenn er morgens ins Klassenzimmer kam.

„Ich kann nicht“, wiederholte ich – lauter dieses Mal – und starrte ihn böse an.

Und er? Er lachte. „Judith, wo bleibt dein Glaube an dich, an deine Möglichkeiten, an die, die dich trägt?“ Sein Blick traf auf meinen. Wärme durchströmte mich. Mühsam zitterte ich mich auf die Füße. Die Knie wollten nachgeben, aber ich stand. Ich schaute den Engel an. Er nickte und sagte: „Wirf!“

Ich hob den Arm. Holte aus. Warf die Kugel. Sie flog und flog und flog. Dann landete sie mit einem lauten „Platsch“ im See. Abermillionen Wassertropfen spritzten heraus. Sie tanzten über der Wasseroberfläche – bunt wie ein Regenbogen im Sommer. Glitzerten, glänzten, leuchteten.

Die Nacht senkte sich über den See. Mein Engel und ich saßen still auf der Wiese und staunten.

© Judith Manok-Grundler, 20.05.2019

 

Dingelsdorf Abend

 

Was macht Dein Leben leichter und bunter?



Foto: Erwin Grundler, Überlingen-Aufkirch
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