Wie sähe die Welt aus, wenn Weihnachten verboten würde?

Sie wäre kalt und grau und trüb und leer und leblos. Die Menschen wüssten nicht, was sie im Dezember tun sollten. Schließlich radierten sie diesen Monat ganz aus dem Kalender aus. Nur um dann festzustellen, dass ein riesiges schwarzes Loch in der Welt klafft. Ein unheilvolles schwarzes Loch. Mit einem gigantischen Sog. Und es würde größer und größer.

Bis eines schönen Tages ein kleines Mädchen, nennen wir sie Luisa, seine Mama fragen würde: „Mama, warum ist zwischen November und Januar so ein großes schwarzes Loch?“ Und die Mama antwortete: „Weißt Du, Spatz, früher, da war das ganz anders, das hat mir meine Mama erzählt. Da gab es den Advent, ganz viel Warten, Spannung, Dunkelheit, Geheimnisse, Singen und schließlich Weihnachten mit Freude, ganz viel Freude. Das muss schön gewesen sein! Aber dann wurde die Dunkelheit und das Warten zu lang für die Menschen und sie begannen, die Weihnachtsbäume schon im November aufzustellen und die Kerzen anzuzünden. Sie kauften Geschenke, backten Plätzchen, rannten von einer Weihnachtsfeier zur nächsten, besuchten Weihnachtsmärkte und hatten nur Hektik. An Weihnachten waren sie dann müde und überfordert und es gab immer öfter Streit“. Die Mutter schwieg. „Und dann, dann wurde der Dezember abgeschafft. Seither gibt es dieses schwarze Loch!“

Luisa würde zuhören. Aufmerksam. Dann ginge sie still in ihr Zimmer. Sie würde Papier, Farbstifte, Schere, Nadeln und silbernen Faden mit nehmen. Sie würde sich auf den Boden setzen. Die Zungenspitze würde zwischen den Lippen herausschauen, während sie begänne Sterne zu malen und auszuschneiden. Wenn sie fertig ist, würde sie mit der Nadel in je eine Spitze ein kleines Loch stechen und einen silbernen Faden hindurch ziehen, den sie sorgfältig verknoten würde.

Abends, wenn alles still ist, ginge sie los. Leise. Unbemerkt. Sie schliche sich von Stockwerk zu Stockwerk. Hängte an jede Tür einen Stern. Dann ginge sie lächelnd ins Bett. Und morgens, auf dem Weg zum Kindergarten, traute sie ihren Augen nicht: Überall hingen Sterne; an Zäunen und Gartentoren, an Bäumen und Hecken, an Haustüren und Fenstern, an Abfallbehältern und Mülltonnen, an Autoscheiben und Bänken. Das schwarze Loch wäre schon etwas kleiner und alle Menschen, wirklich alle, begegneten sich mit einem Lächeln.

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Wie sähe die Welt für Dich aus ohne Weihnachten?

Bild + Foto: Judith Manok-Grundler, Überlingen-Aufkirch

2 Kommentare
    • mutigerleben
      mutigerleben sagte:

      Liebe Theresia,
      Herzlich willkommen hier auf meinem Blog.
      Hab Dank für Deine Rückmeldung zu meiner Geschichte. Mir gefällt sie auch sehr und meine Enkeltochter wollte sie gleich zwei Mal an einem Mittag hören. Und: Auch ich habe gerade vorhin einen Stern in meinem Wohnzimmer entdeckt.
      Weihnachtliche Grüße zu Dir
      Judith

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