Wort zum Sonntag: Und dann kam Corona

Was hatte ich mir nicht alles vorgenommen für dieses Jahr. Seminare wollte ich halten, altbewährte und neue. Ebenso für mich wie für die Teilnehmerinnen.

Ich wollte einen Tag in der Woche von Arbeit freihalten, um ihn mit Erwin zu verbringen. Wandern, Städtetrips in der näheren Umgebung, Museums- und Ausstellungsbesuche.
Ich freute mich auf die Schreibreise. Aufs Wiedersehen mit Susanne und Astrid. Auf die Berge, den Gleinkersee und die Wunder der Natur.
Ich freute mich auf die Landesgartenschau. Sie würde ein Fest werden. Ein Fest des Lebens. Sie würde Begegnungen ermöglichen und hoffentlich das Bewusstsein vertiefen, dass es zu einem guten Leben nicht <höher, weiter, schneller> braucht. Ich freute mich darauf Menschen zu begrüßen. Sie teilhaben zu lassen, an dem Schönen, das es hier gibt. Ihren Blick zu schärfen für das Kleine.
Da waren die geplanten Enkel Wochenenden, auf die ich mich freute. Wieder mit ihnen unterwegs zu sein, teilhaben zu dürfen an ihrem groß werden, fühlen und denken. Das ist ein wunderbares Geschenk.
Eine Freundin würde 60 Jahre alt werden, eine andere ihren 70. Geburtstag feiern. Die Feste warfen ihre Schatten voraus. Und mir kam die Erkenntnis: Die Hälfte bzw. fast die Hälfte ihres Lebens sind wir schon gemeinsam unterwegs.

Und dann kam Corona. Und alles war anders. Von einem Tag auf den anderen. Schock. Angst. Starre. Die Fragen „Was wird?“ und „Wie soll das weitergehen?“ beschäftigten mich.
Ich begann ein Corona Tagebuch zu schreiben. Ich telefonierte. Ich lernte zu skypen und wie Videotelefonie geht. Ich schrieb. Ich las per Telefon vor. Ich schrieb Briefe an die Enkelkinder. Ich lud ein zu Videokonferenzen.
Ich ging viel mit Erwin laufen, entdeckte schöne Flecken im Hinterland. Ich malte. Ich las. Ich räumte auf.
Langsam gab es eine etwas größere Offenheit. Ich sah Kinder und Enkelkinder wieder persönlich. Mit viel Abstand und ohne Berührungen zunächst, aber es war besser als vorher. Ich feierte meinen Geburtstag auf der Wiese vor dem Haus – mit viel, viel Abstand und der Familie.

Langsam pendelte sich das Neue ein. Jetzt lebe ich mit Corona. Irgendwie. Ich habe gelernt, das LANGSAM wieder mehr zu schätzen. Ich habe die Zeit genutzt, um vorauszuschauen: Wie kann ich irgendwann mein Rentenleben gestalten? Was ist wichtig? Worauf will ich achten? Was geht gar nicht?
Als Fazit kann ich festhalten: Nein, ich hätte Corona nicht gebraucht.
Da es nun aber einmal da ist, bin ich Realistin genug, damit umzugehen. Ein <so-tun-als-ob-das-alles-gar-nicht-so-schlimm-wäre> ist eine Bewältigungsstrategie – allerdings ist es nicht meine Strategie.
Für mich ist Corona eine Übung in Akzeptanz. „Es ist, wie es ist!“, lautet dabei das Zauberwort. Und ich sage sehr bewusst „eine Übung“, denn darum handelt es sich. <Anerkennen, was ist>, das ist nicht einfach da, das darf ich immer wieder neu üben.

Und dann kam Corona. Ein Bruch im Alltag. Ein Bruch mit dem Alltag. Beides fordert Besinnung, auch Rückbesinnung. Rückbesinnung, auf das, was wesentlich ist. Was es zum Leben braucht.
Ein halbes Jahr Corona. Hat es mich verändert? „Ja, das hat es!“, sage ich vorsichtig und weiß, die Veränderung ist weder zu fassen noch klar zu benennen, aber sie ist da.

Beim Schreiben des Textes musste ich an die Ostererzählungen der Bibel denken. Die Freundinnen und Freunde Jesu standen nach der Kreuzigung vor einem Ende – und sie alle gingen mit diesem Ende so um, wie sie es gewohnt waren. Dann kam die Botschaft von Jesu Auferstehung – und, wo die einen jubelten, zweifelten andere. Das alles ist menschlich und darf sein. Und gerade aus der Erzählung von der Auferstehung darf ich, wenn ich mag, Hoffnung schöpfen.

Diese Hoffnung gilt auch für Corona – und ich nehme sie für mich in Anspruch.

© Judith, 5. September 2020

 

|WERBUNG WEGEN NAMENSNENNUNG, UNBEZAHLT|

 

 

 

Hat Corona Dich verändert?

Foto: © Erwin Grundler, Überlingen

 

14 Kommentare
  1. Sonja
    Sonja sagte:

    Ein sehr, sehr schöner Text!
    Ich kann nicht sagen, dass mich die Situation verändert hat. Ich habe die Ruhe anfangs sehr genossen (introvertiert) und mein Leben einfach ein wenig angepasst an alles. Ich komme gut mit Veränderungen klar und kann auch mit Ängsten mittlerweile gut umgehen.
    Allerdings spüre ich auch im Berufsleben kaum Auswirkungen. Außer dass ich jede zweite Woche im Homeoffice bin und wir – geplant – in ein neues Gebäude gezogen sind, ist bei mir alles beim Alten geblieben, worum ich auch sehr froh bin.

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    • mutigerleben
      mutigerleben sagte:

      Liebe Sonja,
      danke dir.
      Auch ich komme ganz gut mit Veränderungen klar – dazu hilft ein gewisser Pragmatismus. Außerdem natürlich die Idee der Hoffnung.
      Im Unterschied zu dir brach meine Arbeit völlig ein – ich habe eine Beratungspraxis und arbeite in der Erwachsenenbildung, aber Seminare und Vorträge fielen alle aus. Ab September soll das wieder starten, mal sehen, wie es gehen wird.
      Mit einzelnen Beratungen habe ich im Juli schon begonnen.
      Und die Veränderungen – wie gesagt, ich kann sie nicht klar benennen, aber ich spüre, dass da etwas anders geworden ist. Das ist auch nichts Schlimmes – es fühlt sich nicht schlecht an. Mal sehen, wann es sich fassen lässt.
      Sonntagsgrüße zu dir
      Judith

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  2. Literaturgarten
    Literaturgarten sagte:

    Liebe Judith, ein sehr guter Text, der mich berührt hat. Auch mich hat Corona verändert. Mein Rentnerdasein und das meines Mannes hatte begonnen. Wir hatte viel Pläne, wollten unser geliebtes Irland lange bereisen, aber nun habe ich Bescheidenheit schätzen gelernt . Auch kleine Wanderungen in unserem Land können beglücken und das Wichtigste findet statt : wir sind zusammen in diesem neuen Lebensabschnitt.
    Ich wünsche Dir einen sonnigen Sonntag!
    Angela

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    • mutigerleben
      mutigerleben sagte:

      Liebe Angela,
      danke dir für deine liebe Rückmeldung.
      Ja, ich glaube, es hängt sehr davon ab, in was für einem Lebensabschnitt ich gerade stecke.
      Dieses Zusammensein und sich haben, das du beschreibst, das ist – wenn es gut ist – tatsächlich eine Lebensquelle. Das wieder zu erkennen ist wundervoll – oder vielleicht besser: Sich stärker darauf zu konzentrieren …
      Herzliche Grüße aus einem grauen Herbsttag
      Judith

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  3. Annuschka
    Annuschka sagte:

    Liebe Judith,
    danke für diesen wunderschönen Text. In den letzten Tagen habe ich auch häufig über dieses letzte halbe Jahr nachgedacht. Teilweise, weil sich bei mir eine wachsende Sehnsucht aufbaut, die Arbeit mit den Jugendlichen in der Gemeinde wieder zu beleben. Vermutlich starte ich mit unserer Jugendband und einem kleinen Team Anfang November neu mit dem Jugendgottesdienst. Die Konfirmation unserer Jüngsten, die im April stattfinden sollte, wird nun am 3 Oktober sein, es finden sich Wege, auch was die Schule angeht und ich arbeite stundenweise außer Haus.

    Für mich persönlich kam Corona zu einer Zeit, in der ich sowieso durch die kaputten Sehnen sehr eingeschränkt war, was einerseits dazu führte, dass ich erstmal recht gelassen war, aber später für Ängstlichkeit sorgte. Das entpuppte sich als die Angst, zu einem Zeitpunkt, wo ich meine Mobilität langsam zurückerlangte, mich etwas noch fieseres wieder einbremsen könnte.
    Ja, Corona hat mich definitiv verändert, es hat sich hier eingenistet in einer Phase meines Lebens, die mich empfänglich für Änderungen machte. Ich versuche, alles mit mehr Achtsamkeit und Respekt vor dem Leben anzugehen. Klappt zwar nicht immer, aber immer öfter.

    Dir noch einen gesegneten Sonntagabend und eine gute neue Woche.
    Herzliche Grüße, Anja

    Antworten
    • mutigerleben
      mutigerleben sagte:

      Liebe Anja,
      danke für dein Kompliment.
      Oh, schön, du machst auch Gemeindearbeit. Ich hoffe, du kannst bald mit Jugendgottesdiensten beginnen – gerade in diesem Bereich gibt es doch meist einen größeren Spielraum, da sollte doch auch das ein oder andere Online Angebot drin sein, oder?
      Wir haben, wenn alles so bleibt, am 3. Oktober Kommunion eines Enkelkindes – die hätte auch im April sein sollen. Mal sehen, ob das klappt.

      Was du über die Veränderung durch Corona schreibst, hört sich für mcih auch eher positiv an – auch, wenn ich die Ängstlichkeit des Anfangs nachvollziehen kann. Wenn man gerade erst genesen ist, ist das sicher doppelt schwer gewesen.
      Wünsche dir, dass du einen guten weg findest und dich über jede gelungene Achtsamkeit freust.
      Herzlich
      Judith

      Antworten
  4. Nachtwandlerin
    Nachtwandlerin sagte:

    Liebe Judith,
    vielen Dank, dass du deine Erfahrungen und Erkenntnisse mit uns teilst. „Ein ist eine Bewältigungsstrategie“ hat mich sehr nachdenklich gemacht. Ich kenne einige im Bekanntenkreis, welche von Corona lediglich in ihrer Freizeit eingegrenzt wurden, ihre Jobs behalten konnten und teilweise sogar mehr arbeiten können. Daneben das genaue Gegenteil: Menschen, die ihre Arbeit und teilweise fast das ganze monatliche Einkommen verlieren oder verloren haben, Todesfälle in der Familie haben. Bei denen das Geld knapp wird.
    Ich nähere mich dem Ende meines Studiums und hatte im Februar endlich einen Plan aufgestellt, wie es die nächsten Jahre weitergehen soll. Und wie bei dir: „Und dann kam Corona.“ Ich habe meinen Nebenjob verloren, bis heute keinen neuen bekommen und mein Plan wird auch nicht mehr aufgehen. Die aktuellen Umstände zwingen uns dazu, flexibel zu werden, uns anzupassen. So schwer es uns auch fällt, manchmal braucht es sogar einen Plan C, um im Moment nicht unterzugehen.

    Liebe Grüße
    Alina

    Antworten
    • mutigerleben
      mutigerleben sagte:

      Liebe Alina,
      bitte, sehr gern.
      Ja, das fällt mir auch auf – dass manche von denen klagen, die dazu, objektiv gesehen, weniger Grund haben als andere. Aber, wie gesagt, jede und jeder hat andere Bewältigungsstrategien.
      Für dich und all die anderen jungen Menschen, die jetzt oder bald in die Arbeit starten wollten, tut es mir leid. Es ist doof, in der Luft zu hängen. Und ja, Flexibilität ist notwendig – für uns alle.
      Ich hoffe, dass du einen Plan C findest und vielleicht auch noch einen weiteren.
      Sei ganz herzlich gegrüßt
      Judith

      Antworten
  5. Seelenstreusel
    Seelenstreusel sagte:

    Liebe Judith,
    Corona hätte wahrlich niemand gebraucht und hat uns alle wohl erst einmal in eine Art (Schock-)Starre versetzt. Am Anfang konnte ich das alles gar nicht richtig begreifen – was es mit sich bringt, wie „groß“ das Thema und alles drum herum ist. Mittlerweile gibt es bei mir eine gewisse Akzeptanz, dass Corona „da ist“ und wohl erst einmal bleiben wird; wenn nicht gar für immer mit bestimmten Einschränkungen. Neben den vielen Einschränkungen hat die Pandemie mir persönlich auch einiges Gutes gebracht: Zeit für mich, um mich um mich zu kümmern und auch zu lernen, dass ich regelmäßig meine Pausen brauche und nicht überall dabei sein muss. Irgendwie fällt es mir auch leichter, Leuten abzusagen, wenn ich einfach keine Lust oder Zeit habe – das war vorher anders. Seit Corona benutze ich das Telefon privat auch öfters (sonst eigentlich nur auf der Arbeit und für privat waren es eher Textnachrichten per E-Mail oder Whatsapp – alles, nur nicht telefonieren nach einem langen Arbeitstag mit vielen Telefonaten). Insgesamt empfinde ich die Entschleunigung, die Corona mit sich brachte, auf vielen Ebenen als sehr angenehm.
    Viele liebe Grüße
    Karina

    Antworten
  6. mutigerleben
    mutigerleben sagte:

    Liebe Karina,
    danke dir für deinen Kommentar.
    Du beschreibst was, so glaube ich, viele fühlen: das Zweischneidige! Und letztlich ist das eine Fortsetzung dessen, was wir schon unser ganzes Leben leben – allerdings halt drastischer und präziser (das andere sind wir gewohnt). Ich spreche von der Polarität, die zum Leben dazu gehört, uns aber eben oft nicht bewusst ist. Corona führt uns das vor. Und so, wie ich das Hell nur schätzen kann, wenn es das Dunkel als Gegensatz gibt, birgt Corona eben auch ein „einerseits und andererseits“.
    Du bringst das schön auf den Punkt.
    Grüße
    Judith

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