Wort zum Sonntag: Vergoldet

Stern 6 (aus dem Schreibexperiment im Advent)
„Was vergoldest du?“
So lautet Susannes Frage an diesem Tag.

Ich schrecke hoch. Ein lauter Knall reißt mich aus meiner Konzentration. Ein Fluch folgt – etwas später ein Schmerzensschrei. Ich gehe ans Fenster. Sehe hinaus. Eine Frau steht dort. Sie hält sich die Hand. Ich sehe Blut.

Ich renne die Treppe hinunter, öffne die Tür und gehe zu ihr hin. Offensichtlich ist der Griff ihrer Einkaufstasche gerissen, denn verschiedene Lebensmittel liegen verstreut auf dem Boden. Aus zwei zerbrochenen Flaschen läuft Saft auf die Straße.
„Was ist mit ihrer Hand?“, frage ich.
„Ich habe mich an der Flasche geschnitten“.
Sie zeigt mir die Hand. Ein tiefer Schnitt zieht sich über die gesamte Handfläche. Ich hole den Verbandskasten, verbinde die Hand, bitte die Frau, sich auf die Bank vor der Haustüre zu setzen. Schnell räume ich ihre Einkäufe zusammen und entsorge, was nicht zu retten ist.

„Kommen Sie, ich bringe Sie jetzt ins Krankenhaus. Das muss unbedingt genäht werden“.
Als ich mich von ihr verabschiede, schenkt sie mir ein Lächeln. Es lässt ihr Gesicht leuchten – so, wie Gold in der Sonne oder der See zur „goldenen Stunde“ leuchten.

Ich nehme das Lächeln mit. Es vergoldet mir meinen Tag.

 

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Was vergoldest Du?

Foto: © Erwin Grundler, Überlingen
Text: © Judith Manok-Grundler, 06.12.2020

 

 

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