#Writing Friday: Kritzel-Kratzel

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Hier kommt ein neuer Beitrag zum #WRITING FRIDAY von https://readbooksandfallinlove.com/category/meine-wochenaktionen/writing-friday/, den ich bei  https://kathakritzelt.com/ entdeckt habe. Heute lautet die Schreibaufgabe für mich: „Schreibe eine Geschichte und bringe die Wörter <Malkasten, Sonnenblume, hungrig, Orange, Unglück> darin unter!“

 

 

Melli sitzt auf dem Sofa ihres Ateliers. Licht fällt durch das Dachfenster, das fast die Ausmaße einer Tischtennisplatte hat. Es blendet sie. Sie schaut weg. Lässt den Blick durch den Raum schweifen. Dort drüben an der Wand lehnt ein Stapel frischer Leinwände. Das Regal an der Stirnseite ist voller Farbflaschen und –tuben. Tuschekästen stehen neben Wachs- und Buntstiftkartons. Eine Holzschachtel voller Ölpastellkreiden steht geöffnet daneben. An den Wänden hängen fertige Bilder. Bunt. Fröhlich. Abstrakte und Gegenständliche. Sie leuchten mit dem Licht um die Wette. Im kleinen, halbhohen Regal an der Längsseite des Raums, stehen leere Becher, Pinsel in allen möglichen Größen, Farbroller. Sieben Tesakrepprollen liegen neben Stofflappen. Loses Papier, Skizzenbücher, verschiedene Blöcke und alte Zeitungen füllen die restlichen Bretter. In der Mitte des Raums stehen zwei Staffeleien. Beide sind mit weißem, leerem Papier bespannt. Überall auf dem Boden liegen Papierknäuel. Weggeworfen voller Frust. Seit dem Unglück gelingt ihr nichts. Gar nichts. Sie hat nichts mehr aufs Papier gebracht, was über Einteilungen hinausgeht. So langsam drängt die Zeit. Einige Bilder fehlen noch für ihre Ausstellung, die in sechs Wochen beginnt.

Melli dreht einen Bleistift in ihrer Hand hin und her. Ihre Augen kommen so wenig zur Ruhe wie sie selbst. Sie suchen Halt. Finden in auf dem Tisch. An der türkisfarbenen Keramikvase, die mit kleinblühenden Sonnenblumen gefüllt ist. Daneben steht ihr Aquarellfarbenkasten. Viele Farben. Teure Farben. Heißgeliebt vormals. Heute nur noch ein weiteres Mahnmal des „Früher“.
Das grobkörnige Aquarellpapier wartet. Gleichzeitig lockt es sie und stößt sie ab. „Du spinnst, Melli!“, sagt sie laut. „Es ist doch nur Papier.“ Sie zuckt zusammen, als sie ihre Stimme hört. Seit Tagen hat sie nicht mehr geredet. Nicht einmal mit sich selbst.

Melli steht auf. Läuft durchs Atelier. Auf dem Fensterbrett liegt eine Orange. Schon etwas schrumpelig. In Windeseile hat sie sie geschält. Einen Schnitz nach dem anderen steckt sie sich in den Mund. Sie wischt die Hände an ihrer Jeans ab. Ihr Magen knurrt. „Wann habe ich denn zuletzt gegessen? Ich bin so hungrig“, fällt ihr auf.
Melli geht Richtung Tür. Gerade, als sie die Kühlschranktür öffnen will, läutet ihr Handy. Kurz überlegt sie, ob sie den Anruf überhaupt annehmen soll. Dann gibt sie sich einen Ruck. „Hallo?“
„Guten Tag, Melli“, sagt ihr Galerist, „wie geht es dir?“
Melli gibt keine Antwort. „Mach mir die Türe auf, Melli“, hört sie ihn sagen. „Ich stehe draußen! Komm, mach schon!“
Sie geht zur Wohnungstür. Öffnet sie. Dreht sich um und läuft zurück ins Atelier.

Vergessen ist der Hunger. Er kommt ihr hinterher. Sieht sich um. „Mensch, Melli“, sagt er, greift nach ihrer Hand und zieht sie in seine Arme. „Ich mach mir Sorgen. Bitte, lass dir endlich helfen!“
Melli steht ganz still. „Mir kann niemand helfen“, sagt sie. So leise, dass er es kaum hört. „Doch, glaub mir, das geht, aber du musst wollen!“ Er hält sie fest. Die Zeit vertickt. „Ich kann nicht mehr malen. Nicht mal mehr die einfachsten Dinge!“ Sie wischt sich eine Träne ab. „Ist ja gut, Melli“, sagt er und hält sie fest. Ganz fest. Es dauert, bis er sie loslässt.

„Komm, dann lass uns mal mit Farben spielen.“ Er geht zum Regal. Greift nach den Pastellkreiden. Geht mit ihnen zu den Staffeleien. „Nimm dir zwei Farben und kritzle einfach los!“
Melli macht, was er sagt. Langsam setzt sie die ersten Striche aufs Papier. Wird schneller. Greift zu immer neuen Farben. Ein Rausch packt sie. Sie kritzelt, malt, drückt durch, punktet. Malt wild. Roh. Durcheinander. Übereinander. Wischt mit den Händen darüber. Verschmiert die Farben.
Schmerz, Wut, Zorn, Verbitterung, Angst – all das findet seinen Weg auf das Papier. Bekommt Raum. Weiter. Immer weiter. Schicht um Schicht trägt sie auf. Mit jeder häutet sie sich ein Stück.

Das Licht im Raum verblasst. Der Tag zieht sich zurück. Melli legt die Stifte weg. Schaut sich um. Er sitzt da. Ruhig. Gelassen. Entspannt. Sein Blick wandert zwischen der Staffelei und ihr hin und her.
„Komm mal bitte zu mir“, sagt er und streckt ihr die rechte Hand entgegen. Sie geht zu ihm. Gemeinsam betrachten sie ihr Werk. „Was siehst du?“, fragt er leise. „Bunte Zerstörung“, antwortet Melli sofort.
„Und was sonst?“, will er wissen. Sie zuckt die Schultern. Er lässt sie los. Geht zum Bild. „Schau, Melli, hier, inmitten der Zerstörung, liegt ein Samenkorn, das keimt! Siehst du es?“
Melli schaut hin. Sieht es. Nickt. Lächelt.

© Judith, 6. August 2019

 

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Was entdeckst Du in diesem Bild?




Da ich nicht Melli bin, suchst Du das keimende Samenkorn auf
dem Bild vergeblich - aber: Es ist ein Kritzel-Kratzel-Bild von mir.

Bild und Foto: Judith Manok-Grundler, Überlingen-Aufkirch
4 Kommentare
    • mutigerleben
      mutigerleben sagte:

      Danke dir, liebe Elizzy.
      Das stimmt. Aus welchen Tiefen das kam, kann ich nicht sagen, aber ich hatte beim Schreiben eine klare Vorstellung von dem Bild.
      Seegrüße zu dir
      Judith

      Antworten

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