#Writing Friday: Romanze in der Gelateria

|Werbung wg. Namensnennung und Verlinkung, unbezahlt|

Hier kommt ein neuer Beitrag zum #WRITING FRIDAY
von https://readbooksandfallinlove.com/category/meine-wochenaktionen/writing-friday/, den ich bei  https://kathakritzelt.com/ entdeckt habe. Heute lautet die Schreibaufgabe für mich: „Schreibe über eine Romanze in einer Gelateria“.

 

Ein Julitag. Nachmittags. 15.42 Uhr. Noch hockt die Hitze, die die Stadt in den letzten Tagen fest im Griff hatte, in Ecken und Winkeln. Ein heftiger Sommerregen lässt die Straßen dampfen und die Menschen sich ins Trockene flüchten. Auch Helene flüchtet. Nicht nur vor dem Regen übrigens.

Sie stürzt in die Gelateria „Dolce Vita“. Ein Glück. Ein kleiner, runder Tisch für zwei Personen ist frei. Dort, ganz hinten in der Ecke. „Du hast auf mich gewartet!“ Helene lächelt. Sie lässt ihre Büchertasche auf einen der beiden weißen Metallstühle mit dem karibikblauen Polster plumpsen. Sie streicht sich die nassen Haare aus dem Gesicht. Trocknet die feuchten Hände an ihrem roten Jeansrock ab. Sie zieht den zweiten Stuhl unter dem Tisch hervor. Setzt sich hin. Greift nach der Karte. „Ich nehme einen Erdbeerbecher, bitte“, bestellt sie gleich darauf bei dem jungen Kellner, der ihr freundlich zulächelt.
Sie wartet. Sofort steht ihr das Gespräch mit den Eltern wieder vor Augen. Sie sieht Mutters fest zusammengekniffenen Mund. Das war die einzige Antwort, die sie auf ihr „ich bin erwachsen, versteh das endlich!“, bekommen hat. Sie hört wieder ihren Vater „Kind, dass du uns das antust!“ sagen. Er sagte es in dem Ton, den sie ihr ganzes Leben lang schon hasst. „Dabei will ich doch nur endlich das tun, was meines ist!“, murmelt sie vor sich hin.

Helene reißt die Augen auf, als eine tiefe Stimme „Wie bitte? Was meinen Sie“ sagt. „Ich will nur wissen, ob ich mich zu Ihnen setzen kann? Es ist der einzige freie Platz“.
Ihr Gesicht wird heiß. Sie spürt, wie die Röte über den Hals bis hin zum Haaransatz steigt. „Ähm, nein, ja, doch, vielleicht, natürlich, ich meine …“
Ihr Gegenüber grinst. „Na, eindeutiger geht es kaum. Vielen Dank auch“. Und schon sitzt er neben ihr.

Helene traut ihren Augen nicht. Er ist es. Der Mann, den sie seit Wochen anhimmelt. Der Mann, dem sie jeden Morgen, wenn sie zur Galerie geht, begegnet. Und abends auf dem Heimweg. Auch im Park und beim Einkaufen hat sie ihn schon aus der Ferne gesehen. All ihre Gedanken kreisen um ihn. Tags, aber mehr noch nachts.
Sie schreckt hoch. „Entschuldigung, was haben Sie gesagt? Ich war in Gedanken“.
Er grinst. „Das habe ich bemerkt. „Bitte schön, Ihre Tasche!“ Helene greift danach. Stellt sie neben sich auf den Boden. Ihr Eisbecher kommt.
„Der sieht gut aus, ich will auch so einen!“, ruft er dem Kellner nach.
Helene greift zum Löffel. Weiß noch immer nicht, was sie sagen soll. Sie weiß noch nicht einmal, was sie sagen könnte oder wollte.

Er schaut sie an. Lächelt ihr zu. Schluckt. Einmal, zweimal. Das Lächeln verschwindet. „Ich nehme jetzt all meinen Mut zusammen“, sagt er zu ihr, während sie den Löffel in den Eisbecher taucht. „Wie gut, dass der Regen uns hier zusammengeführt hat. Seit Wochen begegnest du mir jeden Morgen und jeden Abend. Ich sehe dich im Park und beim Einkaufen. Ich kann nur noch an dich denken. Tags, aber mehr noch nachts. Immer, wenn ich die Augen schließe, sehe ich dich vor mir. Und jedes Mal, wenn ich dich sehe, ist es, als ob die Welt um mich herum heller wird. Aber du, du hast mich noch nie wahrgenommen und ich habe keine Ahnung, was ich machen soll, um dir näher zu kommen“.
Helene hält den vollen Löffel in der Hand. Sie starrt ihn an. Schüttelt den Kopf. Lässt den Löffel fallen. Schlägt die Hand vor den Mund. „Oh mein Gott, mir geht es ganz genauso. Nur war ich mir immer sicher, dass du mich nie wahrnehmen wirst. Das hat mich fast umgebracht!“
Er schlägt die Hände vor das Gesicht. „Meine Güte, da laufen wir zwei seit Wochen wie liebeskranke Trottel herum. Dabei hätten ein wenig Mut und ein paar Sätze genügt!“
Helene grinst. Er greift nach ihrer Hand. Sie lässt es zu. Sie rutschen zusammen. Sprechen. Schweigen. Strahlen. Eine Erdbeere rutscht über den Glasbecher nach unten. Die Sahne löst sich auf. Das Eis schmilzt. Dass der Kellner den zweiten Becher auf den Tisch gestellt hat, bemerkt weder sie noch er. Sie sind ineinander versunken. In den Worten des anderen. In mitgeteilten und unausgesprochenen Emotionen.

Das „Dolce Vita“ ist längst leer. Die Menschen sind nach Hause oder weggegangen. Die Straßen sind blankgewaschen vom Regen. Der Regenbogen am Himmel verblasst und verschwindet langsam. Nur ganz hinten in der Ecke im Eiscafé, an einem kleinen Zweiertisch, ist alles beim Alten, doch nichts mehr gleich.

Die Sonne scheint. Ein Julitag. Es ist 16.27 Uhr. Etwas Neues beginnt.

 

IMG-20190711-WA0012

 

 

Was würde Dir zum Titel einfallen?


© Judith Manok-Grundler, 09.07.2019, Überlingen-Aufkirch
Foto: Erwin Grundler, Überlingen-Aufkirch (Foto vom Juni)
10 Kommentare
    • mutigerleben
      mutigerleben sagte:

      Danke dir.
      Ja, mir gefällt es auch – ich lasse mich beim Schreiben als selbst überraschen.
      Hast du den vom letzten Freitag schon gelesen – den mit dem Schneckenhaus? Ich finde, der ist auch gut gelungen.
      Liebe Grüße
      Judith

      Antworten
      • Corly
        Corly sagte:

        bitte gerne.

        Geht mir auch so. Ich lasse mich auch beim Schreiben selbst überrascht, weil ich oft spontan schreibe und nicht genau weiß worauf es hinauslaufen soll.

        Nein, hab ich noch nicht. Muss ich mal gucken.

        LG Corly

        Antworten
      • mutigerleben
        mutigerleben sagte:

        Das ist gut, dass ich nicht die Einzige bin, die das so macht. Während einer meiner Schreib-Weiterbildungen habe ich mal gelesen, dass der Schluss immer klar sein muss bzw. dass klar sein muss, wohin man beim Schreiben will. Das habe ich bei meinem Romanprojekt auch – wenigstens grob – so gemacht. Bei Kurzgeschichten lasse ich mich oft treiben.
        Liebe Grüße
        Judith

        Antworten

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert